: Nach uns die Weicheier
Danke schön, Motherfuckers! Nach anfänglichen rockopernhaften Experimenten setzten Metallica in der Berliner Waldbühne auf Bewährtes: Souverän spielten sie ihr „Master of Puppets“-Album durch
von KIRSTEN RIESSELMANN
6. 6. 06. Es kam einem irgendwie bedeutsam vor: ein bösartiger Tag alter Schule und Metallica in der Waldbühne. Dabei hatten es die kalifornischen Metal-Granden zwar schon immer mit dem Tod und dem Hass und dem Krieg und den Krankheiten, aber doch eigentlich nie mit dem Teufel. Mit dem schien es aber trotzdem zuzugehen: Eine halbe Stunde vor Stagetime weinte der Himmel so sehr, dass die ins Nazi-Amphitheater strömenden Fans in ihren Regencapes der Lächerlichkeit preisgegeben wurden. Nur über das Vorzeigen wüst schlammverschmierten Schuhwerks und das Herumtragen von Halbliter-Plastikbiergefäßen ließ sich da noch etwas äußerliche Härte retten.
Ab halb acht aber lief alles nach Plan: Als letztes Stück der Playback-Musik dudelte AC/DC (wie immer vor einem Metallica-Konzert), dann kam zum Mitheulen Ennio Morricones „Ecstasy of Gold“ (auch wie immer vor einem Metallica-Konzert). Danach erschien die Band, der Regen verabschiedete sich wie auf Geheiß, und der „Motorbreath“ vom allerersten Album pustete über die Ränge. 20.000 Fans im Alter von 10 bis 60 spreizten Zeige- und kleinen Finger.
Metallica im Jahr 25 ihres Bestehens – das sind vier Männer von 43, 44 Jahren, die Anfang der Achtziger den Thrash-Metal miterfunden, im Laufe ihrer Karriere über 100 Millionen Alben verkauft und allein in den USA während der letzten zehn Jahre vor mehr als zwölf Millionen Menschen Konzerte gegeben haben. Das sind vier schwerreiche Typen mit Kunstsammlungen, Ballett tanzenden Töchtern, Pferderanches und dem zweifelhaften Status der hitparadenfähigsten Großmetalband. Das ist aber auch die Band, die sich nicht zu fein dafür war, die Entstehung des letzten Albums „St. Anger“ in dem entzaubernden Film „Some Kind of Monster“ dokumentieren zu lassen: Burn-out-Syndrome, kreative Aussetzer, kindische Streitereien, der Einsatz eines Gruppentherapeuten, Alkoholentzug, vom Arzt verordnete Arbeitszeiten zwischen zwölf und vier.
Das ist vier Jahre her, und 2006 scheinen Metallica sich nicht mehr gern an diese Zeit zu erinnern: Nicht ein einziges der – nach der Weichei-Phase der Neunziger – erstaunlich harten, garagenhaft blechern klingenden „St. Anger“-Stücke brachten sie in der Waldbühne zu Gehör. Dafür trauten sie sich, ein neues, noch namenloses Machwerk auszuprobieren, das leider eher den Frühneunziger-Faden aufzunehmen scheint: Ein rockopernhafter Schinken mit Shanty-Refrain, oldschooligen Double Bass-Parts und Bridges, die an Pearl Jam erinnerten. Und, oho: Kirk Hammett, Leadgitarrist und unverbesserliche Dauerwelle, darf wieder solieren. Das war ihm auf „St. Anger“ verboten worden.
Nach diesem zurückhaltend freundlich aufgenommenen Testlauf feierten Metallica lieber Geburtstag. Den zwanzigsten ihres „Master of Puppets“-Albums nämlich, das sie komplett und verdammt souverän durchspielten: „Battery“ ging ab wie Lucy, beim Titelstück sang das mehrheitlich männliche Publikum das Solo sehr süß in Kopfstimmen mit. Als Bassist Robert Trujillo sein popolanges Haupthaar löste, bekam das Knäblein vor mir von seinem Vater einen Feldstecher in die Hand gedrückt. Sänger James Hetfield präsentierte sein unverändert eindrucksvolles Organ, Schlagzeuger Lars Ulrich machte den Clown und freute sich über Dänemark-Fähnchen in Fanhänden. Spätestens beim Instrumental „Orion“, das von rosa leuchtenden Visual-Wölkchen dekoriert wurde, wurde es aber ein bisschen langweilig mit dem Abhaken von „Master of Puppets“.
Zeit für das große Finish. Metallica ließen sich nicht lumpen und arbeiteten vehement an der Schaffung von Gegenwert für die 70 Euro teuren Eintrittskarten: Hits, Hits, Hits. „Nothing else matters“ zu Feuerzeugschwenkexzessen, „One“ mit malerischer Pyrotechnik, Stichwort Landminen. Nach zweieinhalb Stunden rülpste Hetfield noch „Enter Sandman“ heraus, und das Publikum legte bei „Seek and destroy“ maximale Mitschreiaktivität an den Tag. Reihenweise reife Männer mit Plautze spielten auf den Rängen Luftgitarre, bebrillte Trenchcoat-Träger lagen sich in den Armen, über dem Moshpit schwebte eine Dunstglocke. Lars Ulrich spuckte noch einmal zärtlich auf die erste Reihe, Hetfield warf pathetisch Unmengen Kusshände von sich, und Kirk Hammett hatte sich fremdsprachlich vorbereitet: „Danke schön, Motherfuckers!“
Danke auch, Metallica: für ganzen Einsatz, Beherrschung der Backlist und den Beweis für die Möglichkeit von Zeitlosigkeit.