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Archiv-Artikel

Bachmann-Preisträger am Ball

„Writers’ League“: Schriftsteller aus vier Nationen trafen sich zur Weltmeisterschaft der Autoren in Bremen. Ein melancholischer Erfahrungsbericht

„Kannst du jetzt schon nicht mehr?“, wundert sich unser Trainer Uwe Rapolder. Aber die Mannschaft hält sich gut

Nullter Tag. „Ach, der spielt auch bei euch mit?“, stutzt Judith am Telefon, als ich ihr von der anstehenden „Writers’ League“, der „Fußball-Weltmeisterschaft“ der Autoren in Bremen, erzähle, „dann sag ihm doch bitte, dass mir sein Buch gut gefallen hat.“

Erster Tag. Immer wenn ich sehr früh aufstehen muss, mache ich mir schwere Gedanken. Ich denke an den Tod oder daran, dass ich eigentlich doch Taxifahrer bin, obwohl im offiziellen und tatsächlichen Hauptberuf längst Autor. In aller Herrgottsfrühe trifft sich die Berliner Fraktion der kickenden Schreiber bei Europcar. Das andere Auto biegt sich unter der intellektuellen und körperlichen Last zahlloser zukünftiger und vergangener Bachmann-Haupt- und -Nebenpreisträger, in unserem Wagen sitzen die Pseudos. Ich natürlich am Steuer: einmal Taxifahrer …

Wir checken fast eine Stunde vor der anderen Fuhre im Bremer Hilton ein – gelernt ist eben gelernt. Ich schnappe mir Jan Brandt als Zimmernachbarn. Der junge Kollege wirkt so überaus stubenrein, denke ich, der schnarcht bestimmt nicht, furzt nicht, guckt keine Pornos und wirft bestimmt auch nicht mit Bierdosen das Licht aus. Bei der letztjährigen Writers’ League in der Toskana soll ein Autor die ganze Nacht auf dem Klo gesessen und pausenlos geschrien haben.

Die Zeit drängt. Man hat uns und den Schweden einen Trainingsplatz organisiert. Unsere Mietwagen dienen beiden Teams als Shuttle-Service. Ich fahre, logisch. Vier Schweden auf dem Rücksitz, zwei im Kofferraum, Elchtest bestanden.

Am Abend treffen sich die vier Mannschaften in Grothenn’s Gasthaus. Dort treffen wir auch erstmals unseren Trainer, den Bundesliga-erfahrenen Uwe Rapolder – drunter machen wir’s nicht mehr. Das Buffet wird eröffnet. Michael Lentz staunt, wie viel ich essen kann. Die Auslosung moderiert ein Punker vom NDR: Wir müssen im Halbfinale gegen Schweden ran, gegen die wir in Italien noch mit 0:5 verloren haben. Aber es hätte schlimmer kommen können – Rattengift im Nachtisch, plötzlicher Verlust des Augenlichts.

Zweiter Tag. Rapolder greift durch: Thomas Klupp und Simon Roloff kommen zu spät zur Mannschaftssitzung und werden in der Startaufstellung durch Klaus-Cäsar Zehrer und John von Düffel ersetzt. Erst lachen alle. Dann begreifen wir: Er meint es ernst. Er ist der Trainer. Wenn er wollte, müssten wir Liegestützen machen.

Die beiden Verbrecher werden früh begnadigt; wir wechseln oft und fliegend: rein, raus, rein, raus – das ist Fußball. Als ich kalt und übermotiviert ins heiße Spiel komme, lege ich mich auf Anhieb durch einen grandiosen Nadia-Comaneci-Gedächtnisspagat lahm. „Kannst du jetzt schon nicht mehr?“, wundert sich Rapolder – für diese Frage könnte ich ihn umbringen. Die Mannschaft hält sich unerwartet gut. Wir verlieren nur 2:3 durch Tore von Rinke und Lentz, bei Gegentreffern von Ekelund (2) und Kindvall. Die Besten in einem tollen Team sind Reng, Schieke, Brandt sowie Klaus Döring, der schwer verletzt ausscheidet.

Nach vergeblicher Behandlung durch den turniereigenen Physiotherapeuten humple ich ins Catering-Zelt. Während im zweiten Halbfinale, vom Punker moderiert, Italien mit 2:0 die Ungarn schlägt, staunt Lentz, wie viel ich essen kann.

Zurück im Hotel. „Judith Herrmann hat angerufen“, informiert mich Jan. Er ist nicht nur stubenrein, sondern auch lustig.

Am Abend findet im Bremer Schauspielhaus eine Veranstaltung zur „Writers’ League“ statt. Mitorganisator Moritz Rinke moderiert; Texte teilnehmender Autoren werden auf Deutsch gelesen. Neben mir macht sich von Düffel Notizen. Ich kann es nicht lesen, aber es ist genial. Horst Köhlers Grußwort und das lange Sitzen mit der schweren Zerrung bereiten Schmerzen. Wenn ich mir nun noch vorstelle, ich verstünde obendrein die Sprache nicht wie manch italienischer, schwedischer oder ungarische Kollege, dann ist das Leid kaum auszuhalten.

Nach der Show sondere ich mich ab und hinke auf der Suche nach Dosenbier durch die völlig verwaiste Bremer Innenstadt. Ich spüre, dass nicht nur das Turnier für mich gelaufen ist – zu sehr reicht heute der Mangel an fußballerischer Effizienz dem an literarischer Prominenz die Hand. Ein wenig versteh ich’s ja auch – irgendwer muss den Scheiß schließlich bezahlen. Ich konnte mich sportlich nicht nützlich machen. Auch sonst nicht – es gab nichts zu fahren. Dabei ich bin doch eigentlich Taxifahrer. In Zimmer 135 gucke ich furzend Fernsehen. Bevor ich mit den leeren Dosen das Licht auswerfen kann, kommt Brandt zurück.

Dritter Tag. Die Depression ist wie weggeblasen – ich kann mich endlich wieder nützlich machen: Erst helfe ich dem Punker bei der Mannschaftsaufstellung, dann schickt, nein, brüllt mich Wolfgang Herrndorf auf die Baustelle hinter dem ungarischen Tor. Ausgerechnet der nach Döring größte Humpler robbt über Berge von Geröll, um dem ungarischen Torwart schnell den Ball zum Abstoß zu reichen. Wir sind nämlich im Rückstand. Am Ende verlieren wir dennoch mit 0:3 durch Tore von Hamvai, Mészarós und Gyurgyák, alles Schriftsteller. Unsere Besten: Schmidt, Reng und Herrndorf.

Nach dem Endspiel, das Schweden mit 2:1 gegen Italien gewinnt (Tore: Ekelund, 2 – Grande), werden geehrt: der beste Torschütze (Fredrik Ekelund, Schweden), der beste Spieler (János Gyurgyák, Ungarn) sowie der beste Torhüter (Ronnie Reng, Deutschland). Habe ich ihm schon gesagt, dass meiner Freundin sein Buch gefällt?

Lentz staunt, wie viel ich essen kann. Mit ihm und Brandt hole ich neue Mietwagen – ein Reservierungsfehler beschert uns drei utopische Megaschlitten. Und erneut bringe ich meine Fähigkeiten ein: Vom Sportplatz fahre ich noch schnell ein paar Schweden zum Bahnhof. Danach geht es endgültig nach Hause.

ULI HANNEMANN

Vom Autor erschien zuletzt der Erzählungsband „Hähnchen leider“