Sogar der Sex war okay

„Alter, die machen das wirklich“: Theater spielen für ein jugendliches Publikum ist keine leichte Sache. Denn das verirrt sich selten an die Bühne. Das Ensemble des Bremer Jugendtheaters moks packt die SchülerInnen trotzdem. So sehr, dass die Jugendlichen wiederkommen wollen. „Ungelogen“

von Henning Bleyl

Man soll während der Vorstellung nicht telefonieren und der MP3-Player muss ausbleiben. Jörg Hartensteins Einführung in das Wesen einer Theateraufführung ist kurz, aber präzise. Schließlich sind sehr viele der hundert SchülerInnen, die im Vorraum des Bremer „moks“ auf ihren Einlass warten, zum ersten Mal in einem solchen Etablissement. Manche üben sich nichtsdestotrotz bereits in Lichtregie – der Schalter im Treppenhaus verführt zum periodischen Black –, eine Zehntklässlerin erinnert sich vage an den Besuch eines anderen Stückes. Was und wo? „Keine Ahnung“, sagt die Gymnasiastin. Langweilig sei es gewesen, das Theater habe dann auch irgendwie Pleite gemacht. Immerhin eine kulturpolitische Erfahrung.

An diesem Vormittag sind es mehrere Mittelstufenklassen, die sich Jan Neumanns „Goldfischen“ in der Regie von Dieter Krockauer anschauen, die jüngste Produktion der Kinder- und Jugendsparte des Bremer Theaters. Das Licht geht aus, „jetzt können wir pimpern“, kichert ein Mädchen. Ihre Mitschüler beschäftigt noch die Frage, wie man die nicht entwerteten Theatertickets am besten weiterverkauft (Datum in Photoshop ändern), dann aber – wird zugeschaut.

Und zwar richtig. Was die vier SchauspielerInnen in ihrem sparsamen Bühnenbild aus Sofa, pixeliger Palmentapete und Stehlampe machen, ist interessant: Sie mobben. Katja und Martin halten sich an Nick schadlos, dem spießigen Goldfischbesitzer, der verzweifelt für seinen Abschluss lernt. Am Ende sieht es mit dem Opfer/Täter-Verhältnis schon anders aus, und dazwischen hat auch das „Pimpern“ seinen Platz – Sex gehört schließlich ins Repertoire der Machtmittel. Hetero und homo. Für das theaterkonforme Verhalten der SchülerInnen – „Alter, die machen das wirklich!“ – ist das eine ziemliche Herausforderung. Aber dann herrscht wieder gespannte Konzentration.

16.000 BesucherInnen hat das Moks jährlich. Dass ein Fünftel davon interessierte Erwachsene sind, sagt schon einiges über die theatrale Qualität der Aufführungen. Nicht wenigen gilt das moks als interessanteste Bremer Bühne überhaupt. In Sachen Jugendstücke ist es darüberhinaus die einzige professionelle.

Denn während das Segment Kindertheater floriert und von allen möglichen Anbietern insbesondere zur Weihnachtszeit abgeschöpft wird, gilt die Klientel ab 12 Jahren als zu anstrengend. Niemand unterbricht gern Aufführungen, weil ständig Sachen auf die Bühne fliegen.

In seinen zehn Jahren als moks-Techniker hat Jörg Hartenstein das nur einmal erlebt. Während er nun Goldfischmatsch auffegt, setzen sich die SchauspielerInnen zum Nachgespräch auf die Bühne. „Eure Sprache war sehr jugendgerecht“, bescheinigt ein Junge, der gar nicht so gestelzt aussieht, wie das klingt, offenbar wollen alle etwas Positives sagen. Auch mit dem Sex war‘s okay: „Schließlich habt ihr das insgesamt sehr lässig gemacht.“

Bei Klassen mit vielen Türkischstämmigen wird es an diesem Punkt deutlich heftiger, erzählt Hartenstein, „Schwulsein ist extrem tabu“. Insgesamt mag er gerade die Haupt- und Gesamtschulaufführungen, „weil wir da noch intensiver spielen müssen, damit es nicht kippt“. Ein Teil des Ensembles ist vor kurzem nach Hamburg abgewandert. Klaus Schumacher, der langjährige moks-Leiter, baut im Auftrag von Intendant Friedrich Schirmer das „junge“ Schauspielhaus auf.

In Bremen selbst ist es mit der offi- und finanziellen Wertschätzung nicht so weit her: Immer wieder muss das kleine Haus um seine Fördermittel fürchten. Fein säuberlich sind sie zwischen Bildungs- und Kulturressort aufgeteilt, wodurch sie leicht zur Verschiebe- beziehungsweise Einsparmasse werden. Nicht allerdings, wenn es nach den SchülerInnen geht, die wollen „ungelogen“ wiederkommen. Falls sie es wirklich tun, erwartet sie ein „Werther“. Noch ist nichts geprobt, „aber egal wie‘s wird“, verspricht Hartenstein, „es wird besser als das Reclamheftchen“. Bestimmt – zumal das moks auch höhere Latten locker nimmt.

Nächste Termine in der neuen Spielzeit 2006/2007. Weitere Informationen: www.moks-bremen.de