: Snack Gottes
DAS VERGESSENE REZEPT Die Bibel könnte Hobbyköche inspirieren. Wenn sie nur nicht so ungenau in der Anleitung wäre. Ein Vorschlag für das Linsengericht
■ Zutaten: Ausgelöster Hirschrücken (circa 600 Gramm), 250 Gramm Albleisa (ersatzweise Le-Puy-Linsen), Bratenfond (möglichst selbst gemacht), eine Zwiebel, eine Möhre, eine Fleischtomate (gehäutet und entkernt), 1 El Balsamico-Essig, 2 El Crème fraîche, Salz, Pfeffer
■ Zubereitung: Linsen über Nacht in Wasser einweichen (geht auch ohne, erhöht aber die Kochzeit). In reichlich Wasser (ohne Salz!) circa 35 Minuten kochen, bis sie bissfest sind. Zwiebel und Möhre sehr fein schneiden und in Butter anbraten. Vom Feuer nehmen und die sehr klein gewürfelte Tomate unterheben. Mit den Linsen mischen, Crème fraîche und Balsamico zugeben, salzen, pfeffern und kurz vor dem Servieren noch mal kurz erhitzen. Hirschrücken am Stück in der Pfanne rundherum anbraten. Salzen und pfeffern und im Backofen bei 150 Grad 15 bis 20 Minuten garen. Rücken aufschneiden und mit dem Bratenfond servieren.
VON PHILIPP MAUSSHARDT
Als Kochbuch taugt die Bibel leider nur bedingt. Zwar wird auf tausend Seiten ständig vom Essen und Trinken geredet, brauchbare Rezepte aber sucht man vergeblich. Wäre beispielsweise die Anleitung, wie man aus Wasser Wein macht (Johannes, Kapitel 2), etwas genauer ausgefallen, das Christentum hätte als Weltreligion keine Konkurrenz zu fürchten. An anderer Stelle beschreibt uns der Autor, wie man massenhaft Fische fängt (das Wunder vom See Genezareth). Über die anschließende Zubereitung, ob an der Haut gebraten oder besser gedämpft, schweigt sich der Evangelist aber leider aus. Das Himmelreich, behauptet einer der Autoren (Markus, Kapitel 4), sei wie ein Senfkorn: einmal ausgesät, vermehre es sich wie Unkraut. Auch hier vermissen wir schmerzlich die Rezeptur der Senfsauce.
Nicht einmal beim sprichwörtlich gewordenen „Linsengericht“ erfährt der fromme Leser, wie er es denn kochen soll. Dabei muss das Gericht dermaßen gut gerochen haben, dass der von der Jagd heimkehrende Esau bereit war, für einen Teller seine Rechte als Erstgeborener abzutreten.
Die Linse. Vor 2000 Jahren verarbeitete man im Nahen Osten – wie auch heute noch – vorwiegend rote oder gelbe Linsen. Diese Variante der Hülsenfrucht wird schneller in kochendem Wasser weich als ihre braune Verwandte, die in Europa oder in Kanada überwiegt. Dass die Menschheit sesshaft wurde und nicht mehr als Jäger und Sammler durch die Welt streifte, verdanken wir nicht zuletzt der Linse, die gut haltbar und vor Mäusen relativ sicher den Winter überstand. Sie gilt zusammen mit dem ölhaltigen Lein, der Getreidesorte Emer und wilden Karotten zu den ältesten kultivierten Lebensmitteln. Die Linse hat also die Menschheit viel stärker beeinflusst als, sagen wir: das iPhone. Dafür steht sie verdammt weit unten im Lebensmittelregal.
Als „Linsen mit Spätzle und Saitenwürstle“ hat sich das Unkraut im Schwabenland immerhin zu einem Nationalgericht gemausert, „koscht net viel“ und macht gut satt. Vor allem auf der Schwäbischen Alb bauten die armen Bäuerlein ihre Linsen an, es wuchs ja sonst nicht viel auf dem kargen Kalkboden. Die Alblinse war eine eigene Sorte, ähnlich klein wie die Le-Puy-Linse aus Frankreich, nur im Geschmack etwas intensiver. Doch irgendwann war sie verschwunden, der Anbau zu mühselig, es gab billige Linsen aus Kanada oder der Türkei, und die Konservenindustrie hatte die Vorratshaltung für den Winter sowieso überflüssig gemacht. Man hatte die Alblinse deshalb einfach vergessen und schon auf die Liste der ausgestorbenen Arten gesetzt.
Bis vor wenigen Jahren. Im Sommer 2005 erhielt der Bio-Bauer Woldemar Mammel aus Lauterach ein Päckchen aus Sankt Petersburg. Es enthielt zwei Tüten mit Samen, die im Wawilow-Institut in einer Gendatenbank für exotische Nutzpflanzen lagerten. Irgendjemand hatte im fernen Russland mitbekommen, dass die Schwaben ihre vergessenen Linsen suchten und hatte Erbarmen. Heute ist die Schwäbische Alb das größte Linsen-Anbaugebiet im deutschsprachigen Raum. „Alb-Leisa“ findet man in Bio-Läden oder Feinkostgeschäften. Und für ein wirklich gutes Linsengericht sollte niemand zögern, auf sein Erbe zu verzichten.
■ Philipp Maußhardt schreibt über vergessene Rezepte
■ Die anderen Autoren: Undine Zimmer kocht mit Resten; die Köchin Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, und Jörn Kabisch befragt Experten zur Hardware des Kochens