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Archiv-Artikel

„Wölfe sind scheue Tiere“

HAUSBESUCH Sie leben im Wald, er ist Wolfsbeauftragter. Bei Katrin und Peter Burkhardt im Wendland

VON SIMONE SCHMOLLACK (TEXT) UND TIMO VOGT (FOTOS)

Ein Rotkäppchen-Wald mit hohen Tannen und dunklen Eichen. Mitten drin, komplett versteckt und selbst mit Navi kaum zu finden: Rucksmoor. Zwei weit auseinander liegende Gehöfte, die zur Samtgemeinde Gartow im Wendland, Landkreis Lüchow-Dannenberg, gehören. Hier wohnen Katrin, 41, und Peter Burkhardt, 48, mit Hund Titus und Katze Emma.

Draußen: Ein ehemaliges Forsthaus, weißes Fachwerk, Reetdach. Hinter dem Haus Wiese und Wald. Manchmal steht dort ein Reh und frisst. Im Hof ein alter Brunnen, der nicht mehr funktioniert, aber so aussieht, als würde er noch Wasser geben. Im alten Pferdestall lagert Holz für den Ofen. An der Eingangstür, die im Sommer immer offen steht, sind Gummistiefel aufgereiht. Ein alter Stall ist zu einem Gästehaus umgebaut worden, dort können bis zu vier Personen direkt unter dem Dach schlafen.

Drin: Eine 30 Quadratmeter große Wohnküche mit einem Kaminofen. Auf der einen Seite die Küchenzeile und ein viereckiger Tisch für sechs Personen. Der Mittelpunkt des Hauses und des Lebens der Burkhardts: „Hier spielen sich 80 Prozent des Alltags ab.“ Auf der anderen Seite ein runder Tisch mit Holzsesseln, einer Sauschwarte (so heißt ein Wildschweinfell in der Fachsprache) und eine Anrichte mit Wein und Schnaps. Katrin: „Wir kriegen leider viel zu oft Jägermeister geschenkt.“ Ein alte Standuhr mit einem Fasan darauf, an den Wänden Bilder mit Landschaften und bunten Blumen. Alles Originale, einige gemalt von der Schwester von Peters Großmutter. Eine kleine Jagdtrophäe, ein Rehbockgehörn von Katrins Urgroßvater, datiert vom 11. 6. 1896.

Wer macht was: Beide sind Journalisten und schreiben für verschiedene Magazine und Zeitschriften über Land- und Forstwirtschaft, Jagd, Angeln, Garten, Tiere. Katrins neues Buch: „Die Jägerin“. Peter ist außerdem Wolfsbeauftragter des Landkreises. Seit 2005 hier die erste frische Wolfsspur entdeckt wurde, war klar: Da muss was passieren. Mittlerweile lebt im Gartower Forst ein Rudel, 2013 hatte es sechs Welpen. Mit Wildkameras an den Bäumen werden die Tiere fotografiert, Peter notiert Spurenfunde und sammelt Wolfskot. („Die DNA verrät viel über die Tiere, unter anderem ihre Herkunft, zum Beispiel Polen oder die Lausitz.“) Manche Wölfe legen 1.200 Kilometer in wenigen Wochen zurück. Peter klärt auf Info-Abenden über Wölfe auf.

Wer denkt was: Katrin: „Vor 300 Jahren war das Leben mit Wölfen normal. Jetzt haben die Menschen Angst vor ihnen. Aber das ist Quatsch, das sind scheue Tiere.“ Sie riechen, wenn ihnen der Mensch zu nahe kommt, dann zieht das Rudel weiter. Peter: „Manche Leute glauben, die Wölfe reißen ihre Schafe. Aber bislang fressen die nur Aas und krankes Wild. Wenn die Jungtiere im nächsten Jahr aber selber Nachwuchs kriegen, könnte das anders werden; dann könnten die Wölfe auch Nutztiere reißen.“ Es gibt aber auch Leute, die Peter „überemotionale Wolfsfreunde“ nennt: Sie wollen die Tiere vor den Menschen retten. Peter: „Ich versuche, zwischen beiden ‚Lagern‘ zu vermitteln.“

Peter: Wurde in Lüneburg geboren und hat Forstwissenschaft studiert. Damals waren Förster-Stellen in der Gegend so rar wie Atheisten in Rom. „Ratzfatz war ich im Verlagswesen.“ Dabei fiel ihm auf, dass „grüne Berufe“ keine Lobby hatten. Also begann er, in Zeitschriften darüber zu schreiben. „Das war eine Nische.“ Er wechselte in die Werbebranche, seit 2001 ist er selbstständig.

Katrin: Kommt auch aus Lüneburg, hat Agrarwissenschaften studiert, aber nicht zu Ende. „Das war nicht hundertprozentig das, was ich werden wollte.“ Hat Praktika gemacht und ein Volontariat in einem Verlag in Hannover. War viereinhalb Jahre Vize-Chefin einer Regionalzeitung. Seit 2004 ist sie selbstständig.

Das erste Date: Katrins Vater war Förster und mit Peters Eltern befreundet. Peters Vater fragte Katrins Vater, ob der Sohn bei ihm ein paar Bäume pflanzen könnte. Peter stromerte viel durch den Wald. Damals war er 13, Katrin 6. Als er sie das erste Mal sah, saß sie auf dem Schoß ihres Vaters, im Schlafanzug. Peter: „Ich war damals schon hingerissen.“ Katrin: „Man sieht sich immer zweimal im Leben.“ Beim zweiten Mal war sie 24 und er 31, verheiratet, ein Sohn. Sie machte ein Praktikum in Hannover, in dem Verlag, in dem er arbeitete. Sie waren viel gemeinsam unterwegs, Peters Ehe war vorbei und sie verliebten sich ineinander.

Die Hochzeit: Im Dezember 2000. Peters Sohn Jonas war oft bei Peter und Katrin und brachte häufig seinen besten Freund mit. Sie fühlen sich als Familie. Katrin: „Bei uns ist es total egal, wer die biologischen Eltern sind.“ Das ist bis heute so. Inzwischen kommen die beiden jungen Männer mit ihren Freundinnen „nach Hause“.

Der Alltag: Vor 9 Uhr passiert gar nichts. Peter: „Wer früher anruft, hat Pech. Dafür gehen wir abends nach 10 noch ans Telefon.“ Katrin: „Ich muss oft an meine Freundin denken, die morgens um 6 Uhr anfängt zu arbeiten.“ Nach dem Frühstück geht es um die Ecke, ins Büro. Die beiden Schreibtische stehen sich gegenüber, jeder arbeitet an seinen Projekten. Zwischendurch geht einer von beiden mit dem Hund raus. Am Nachmittag fahren sie häufig zum Wildgatter. Der Touristenanlaufpunkt gehört der Gemeinde und dem hiesigen Forstbetrieb, die Burkhardts betreuen die Gehege mit Schwarz-, Dam- und Rotwild. Wenn Besucher kommen, wird gequatscht.

Wann sind Sie glücklich? Peter: „Wenn wir morgens länger, als wir sollten, in der Küche sitzen, Kaffee trinken und reden. Wenn im Frühjahr die Kraniche vorbeiziehen und Katze Emma die Computertastatur blockiert.“ Katrin: „Dann wissen wir: Das ist Lebensqualität, die nicht mit Geld zu bezahlen ist.“

Nächstes Mal treffen wir Herrn Shin Sung-sik in Berlin. Wenn Sie auch einmal besucht werden möchten, schreiben Sie eine Mail an hausbesuch@taz.de