Hilfe, die Helfer kommen!

AUS YOGYAKARTA CHRISTINA SCHOTT

Wie die Heuschrecken sind die internationalen Helfer in Yogyakarta eingefallen. Obwohl sich seit dem schweren Erdbeben vor zwei Wochen kaum ein Tourist in die beliebte indonesische Stadt verirrt, sind die unbeschädigt gebliebenen Hotels komplett ausgebucht: Die Vereinten Nationen besetzen das Jogja Plaza Hotel, das Internationale Rote Kreuz logiert im Grand Hyatt, die Japaner residieren im Hotel der staatlichen Fluglinie Garuda. Als Privatmensch hat man kaum eine Chance, noch eine Unterkunft zu ergattern.

Nach dem Beben vom 27. Mai, das die Stadtprovinz Yogyakarta sowie Teile der Provinz Zentraljava mit einer Stärke von 6,3 auf der Richterskala erschüttert hatte, waren die Helfer schnell zur Stelle. Wegen eines drohenden Ausbruchs des Vulkans Merapi waren die meisten gut vorbereitet, viele reisten direkt aus der Tsunami-Provinz Aceh an. Vor allem die Suchtrupps zur Rettung von Verschütteten und die medizinische Notfallhilfe durch Ärzte und Medikamente waren – unbestritten – dringend notwendig. 5.800 Tote forderte das Beben, 36.300 Verletzte mussten die überfüllten Krankenhäuser der Umgebung aufnehmen.

Dann allerdings hörte der Strom der Hilfsbereiten in das relativ überschaubare Erdbebengebiet gar nicht mehr auf, sodass die indonesische Regierung bereits wenige Tage nach der Katastrophe damit anfing, Hilfslieferungen und Helferteams wieder nach Hause zu schicken – der Bedarf war schlichtweg gedeckt.

„Die Entscheidung der indonesischen Regierung, keine nationale Katastrophe auszurufen, hat anfangs vielleicht ein bisschen Verwirrung gestiftet“, sagt Heinke Veit, Pressesprecherin der Humanitären Organisation der Europäischen Kommission (ECHO), „das hat aber den Vorteil, dass die Helfer vor Ort sowie die Opfer selbst zu mehr Eigeninitiative angehalten werden.“ Das scheint nicht allen zu passen: Gerüchte besagen, dass einige Helfer, deren Projekte in der Tsunami-Provinz Aceh demnächst auslaufen werden, nun auf eine Verlängerung ihrer Verträge in Zentraljava hoffen.

Doch Sultan Hamengkubuwono X., zugleich der gewählte Gouverneur von Yogyakarta, hat klargestellt: „Wir wollen es diesmal anders machen als in Aceh. Diesmal werden wir den Wiederaufbau selbst in die Hand nehmen. Über jede Unterstützung aus dem Ausland sind wir dankbar, aber die Federführung bleibt bei uns.“

In Aceh war die Lage anders

Tatsächlich ist die Ausgangssituation in Yogyakarta völlig anders als in der ehemaligen Bürgerkriegsprovinz Aceh im Norden der Nachbarinsel Sumatra nach dem Tsunami Ende 2004. Aceh war schon vor der Katastrophe wegen eines jahrzehntelangen Bürgerkriegs für Ausländer unzugänglich, es gab nur ganz wenige lokale Nichtregierungsorganisationen (NGO) vor Ort. Da der Tsunami die technische und soziale Infrastruktur ganzer Dörfer und Städte einfach weggespült hatte, mussten viele Gemeinden bei null komplett neu anfangen. Ohne massive Hilfe von außen wäre das unmöglich gewesen.

Die legendäre Sultansstadt Yogyakarta dagegen ist wegen ihrer berühmten Kulturdenkmäler schon immer ein Anziehungspunkt für Gäste aus aller Welt; sie gilt nach Bali als wichtigstes Touristenzentrum Indonesiens. Außerdem beherbergt die größte Studentenstadt des Landes mehr als hundert Universitäten und Hochschulen sowie eine ausgedehnte Szene von lokalen, nationalen und internationalen NGOs. Dieses enorme Potenzial an gut ausgebildeten Helfern war zur Zeit des Erdbebens bereits an Ort und Stelle und konnte sofort loslegen, ohne sich um Unterkunft oder Transportprobleme kümmern zu müssen.

Hinzu kommt, dass in Yogyakarta durch das Beben zwar rund 100.000 Häuser zerstört oder beschädigt wurden, aber die Infrastruktur weitgehend erhalten blieb. Das gesamte Katastrophengebiet war von Anfang an zugänglich, keines der zerstörten Dörfer liegt weiter als zwei bis drei Stunden Autofahrt vom intakten Stadtzentrum entfernt – bis zu drei Stunden auch nur wegen des Staus, den die Massen von einheimischen und auswärtigen Freiwilligen verursachen.

Mittlerweile gibt es kaum noch ein Gebiet, das von Wasser und Strom abgeschnitten ist. Viele Straßen und Brücken sind beschädigt, aber kaum eine ist unbefahrbar. Auch der Trinkwassernotstand, von dem in den Medien viel die Rede war, ist in Wirklichkeit nicht so dramatisch: In den ländlichen Gegenden Indonesiens leben die meisten Menschen mit Ziehbrunnen.

Viele Brunnen waren direkt nach dem Erdbeben leer, aber sie füllten sich bereits nach wenigen Tagen wieder. Einmal „durchgeschüttelt“, hatte die Erde das Grundwasser vorübergehend aufgesaugt. Dass man dieses trübe Wasser erst abkochen muss, bevor es trinkbar wird, war und ist für jeden Indonesier selbstverständlich. Seine Qualität ist dennoch häufig besser als die des klaren Leitungswassers, das in den Städten des Landes aus dem Hahn läuft. Wenn nun zum Beispiel das Deutsche Rote Kreuz mit einer aufwändigen Anlage hundertprozentig reines Trinkwasser produziert, kochen es die Indonesier zu Hause trotzdem noch einmal ab.

„Ich weiß gar nicht, was ich hier jetzt auch noch soll“, sagt ein Mitarbeiter einer deutschen Hilfsorganisation. „Die Hälfte des personellen Aufwands hätte vollkommen ausgereicht, um den Bedarf an internationaler Hilfe zu decken. „Abgesehen von Ärzten und Suchtrupps hätte es im Grunde gereicht, einfach Sachspenden wie Zelte, Decken und Lebensmittel einzufliegen. Vielleicht noch ein paar Leute, um die Verteilung zu überwachen. Den Rest hätte man den lokalen Organisationen überlassen können, dann wäre vielleicht weniger Stau auf den Straßen“, so der erfahrene Entwicklungshelfer, der lieber anonym bleiben möchte.

Tatsächlich haben sich die meisten internationalen Organisationen auch sofort mit lokalen NGOs zusammengetan. „Ortskundige, erfahrene Partner wissen am besten, wie man Hilfe schnell so organisiert, dass sie auch dort ankommt, wo sie dringend benötigt wird“, erklärt Henry Schuermann, Länderreferent für Indonesien bei Misereor. „Zusätzliche Hilfe von außen ist bei großen Katastrophen unbedingt notwendig. Aber man kann die Aktivitäten der Bevölkerung und Organisationen vor Ort am besten durch finanzielle Mittel und technische und logistische Maßnahmen unterstützen.“

Dies scheint ganz im Sinne der Betroffenen zu sein. „Gebt uns das Baumaterial, den Rest machen wir selbst“, sagt Sarjono, ein Handwerker aus dem zerstörten Töpferdorf Kasongan. Gotong Royong, gemeinschaftlich arbeiten, heißt das Zauberwort.

Diese Art der Nachbarschaftshilfe ist auf Java ein fester Bestandteil des sozialen Lebens: Ist im Dorf ein Haus, eine Straße, eine Moschee beschädigt, wird der Schaden von den Dörflern gemeinsam repariert – natürlich unentgeltlich. Wer nicht mithilft, verliert sein Gesicht.

Am ersten Wochenende nach dem Erdbeben donnerten hunderte Lastwagen in das Erdbebengebiet, die Ladeflächen voll mit freiwilligen Räumtrupps, die aus ganz Java angereist waren. Effektiver als jede Hilfsorganisation schafften diese Aufräumkommandos Bauschutt beiseite, trennten wiederverwendbare von unbrauchbaren Materialien und haben auf diese Weise bereits ganze Dörfer geräumt.

„Das regeln die Leute selbst“

Trotzdem sprechen einige Organisationen in den Koordinationsmeetings der UN schon wieder von „Cash for Work“, also davon, die Erdbebenopfer für den Aufbau ihrer eigenen Häuser zu bezahlen. Diese Taktik wurde im völlig verwüsteten Aceh angewandt, um den Menschen, die alles verloren hatten, Arbeit und etwas Geld zum Leben zu bieten. In Yogyakarta aber ist die Arbeitsinfrastruktur zum größten Teil noch intakt, die Bauern arbeiten wieder auf ihren Feldern, die Marktfrauen verkaufen ihre Waren, selbst viele Kunsthandwerker haben schon wieder mit ihrer Produktion begonnen – und sei es unter einer Zeltplane sitzend. Andererseits haben ausgerechnet in den Dörfern an den Hauptstraßen, die die meiste und schnellste Hilfe abbekommen haben, ganze Familien angefangen, kollektiv um noch mehr Spenden zu betteln. „Cash for Work würde die sozialen Strukturen der Dorfgemeinschaften hier zerstören“, meint der deutsche Entwicklungshelfer. „Die internationale Hilfe sollte sich wirklich auf die finanzielle und vor allem technische Unterstützung beim Wiederaufbau konzentrieren. Den Rest regeln die Leute hier selbst.“

Der dennoch eingeflogene riesige Helferapparat – beinahe alle kennen sich aus Aceh – trifft sich inzwischen mehrmals täglich in diversen Hotels zum Meeting. Dabei geht es neben wichtigen Besprechungen zur Koordination der lebensnotwendigen Hilfe auch um unsinnige Themen wie Saatgutspenden für die Landwirtschaft. „Die Reisfelder stören sich doch nicht daran, dass sie einmal durchgerüttelt worden sind, an vielen Orten arbeiten die Bauern schon wieder auf ihren Feldern“, so ein deutscher Teilnehmer. „Wie alle anderen benötigen auch die Landwirte vor allem Unterstützung beim Wiederaufbau ihrer zerstörten Häuser und Ställe.“ Am Ende der ersten Woche nach dem Beben nahm die Teilnehmerliste der internationalen Koordinationsmeetings solche Ausmaße an, dass die Konferenzleiter darum baten, demnächst nur noch Teamleiter zu den Besprechungen zu schicken.

Zeit, dass wieder was passiert

Abends verlagern sich die Meetings der ausländischen Organisationen in die Cafés des unbeschädigten Touristenviertels Sosrowijayan. Während sich in einer Ecke ein Helfer im tiefsten Schwäbisch beim indonesischen Kellner über das ungenießbare Essen beklagt, überlegt am Nachbartisch ein Franzose – nennen wir in Jean –, wo er am besten Whisky herbekommt. Bis vor zwei Wochen arbeitete Jean noch für eine große internationale Hilfsorganisation in Aceh. Während er dort beim Wiederaufbau eines vom Tsunami zerstörten Dorfs mithalf, baute er sich selbst ein Strandhaus mit Blick auf den Indischen Ozean. Eine gut ausgestattete Bar sowie eine große Stereoanlage gehörten mitten in der Scharia-Provinz zur Einrichtung. Die meisten Entwicklungshelfer dort begnügen sich mit einfachen Barackenunterkünften. Vor rund zwei Monaten noch erklärte Jean, während er auf seiner Veranda am eisgekühlten Whisky nippte: „Es wird Zeit, dass wieder etwas passiert – meine Arbeit hier ist bald vorbei, es wird allmählich langweilig.“