: „Es fehlen Formen, wie man Differenz aushält“
Die Kulturwissenschaftlerin Bozena Choluj meint, dass der Hass auf Homosexuelle in Polen ein Zeichen für ein Demokratiedefizit ist
taz: Frau Choluj, können Sie uns erklären, weshalb sich in Polen so viel Hass auf Homosexuelle richtet?
Bozena Choluj: Mit der Transformation sind viele nicht zufrieden– es gibt einfach sehr viele Verlierer in meinem Land. Und diese haben ihre Stimmen bei den Wahlen den Rechten gegeben – wenn sie schon nichts an ihren Leben ändern können, einigt man sich wenigstens auf Losungen.
Und warum wendet sich diese Aggression gegen Schwule und Lesben?
Weil sie zu den Schwächsten gehören. Sie wurden und werden zu Sündenböcken gemacht für alles, was schief gelaufen ist.
Welchen Anteil an dieser Homophobie hat der katholischen Klerus?
Einigen. Die katholische Kirche hat in sozialistischen Zeiten Räume gegen die Macht des Staates geboten. Nur unter dem Dach des Klerus konnte man sich dem Kommunismus entziehen.
Es geht um die Kirche und ihre Propaganda für alles Familiäre?
Die gab es seitens der sozialistischen Macht auch. Die wollte die Familie für eine gute Zukunft in ihrem Sinne fördern, die Opposition verstand die Familie als Gegenkraft zur sozialistischen Macht.
Hat sich seit der Mitgliedschaft in der EU nichts geändert?
Dass es nun keinen nationalen Feind mehr gibt, steht seit dem EU-Beitritt fest.
Länder wie Irland haben, was die Liberalität in Sachen Lebensformen anbetrifft, von der EU profitiert – dort läuft nicht mehr alles so katholisch, wie der Klerus es gern hätte.
Polen ist da noch anders, die neue Zeit ist wirklich noch neu. Unsere Demokratie ist noch sehr jung – und Formen, wie man mit Konflikten umgeht, wie man sie austrägt, wie man Differenz aushält, wie Pluralismus mit Leben erfüllt wird, die sind noch kaum entwickelt. Deshalb sucht man nach einer schwachen Gruppe, die schon in der Vergangenheit negative Zuweisungen bekommen hat.
Worauf stützen sich die Homophoben in Polen?
Auch, das ist das Tragische, auf westliche Diskussionen um Frauen, die keine oder nicht so viele Kinder haben wollen. Gerade die Rechten bei uns sagen: Hört hin, die im Westen klagen über die demografische Entwicklung. Deshalb dürfe man Homosexuelle diskriminieren – denn sie „vermehren“ sich ja nicht.
Sind von der Homophobie lediglich Homosexuelle betroffen?
Keineswegs. Alle sind damit gemeint, die auf Differenz setzen, auf Pluralität und eine bunte Gesellschaft. Der Hass gegen die Märsche für Toleranz trifft auch Frauen, die auf ein säkulares Recht auf Abtreibung setzen, beispielsweise.
Ist Polen für Homosexuelle zu einer No-go-Area geworden?
Das weiß ich nicht. Polen ist eigentlich nicht homogen, nicht so, wie die sozialistische Macht glauben machen wollte oder der Klerus der Katholiken. Man wünscht aber Homogenität – dann herrscht Ruhe im Land. Alle postsozialistischen Staaten in Mittel- und Osteuropa haben diesen Drang nach Homogenität. Anders sind auch die jüngsten Aggressionen gegen Homosexuelle in Moskau, bei denen auch Volker Beck verletzt wurde, nicht zu erklären. Schließlich ist die katholische Kirche in Russland kaum von Bedeutung.
Hilft Druck von außen wie jetzt, da tausende von Ausländern an dem Marsch teilnehmen wollen?
Das hilft ungemein. Die Entwicklung einer jungen Demokratie geht überhaupt nur, wenn das Ausland sie beobachtet und kontrolliert. Die Zugehörigkeit zur EU kann für Polen eine Rettung sein.INTERVIEW: JAN FEDDERSEN