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Archiv-Artikel

Eine echte Fußballband

Ihr berühmtester Song lebt längst auch ohne die Band, deren Namen die wenigsten kennen, die ihn so gern singen: Die Lightning Seeds mit „Three Lions“ beim Popkick-Festival im Treptower Park

VON ANDREAS HARTMANN

Der Treptower Park im Ausnahmezustand, die Fußballweltmeisterschaft findet auch im Grünen statt. Das Gelände des Popkick-Festivals im Park ist derart weiträumig abgesteckt, dass die Suche nach dem Haupteingang schon Mal zum Tagesausflug werden kann. Hier gibt es Event-Fußball, man kann nicht nur alle Spiele auf der Großbildleinwand erleben, sondern bekommt für einen unverschämt günstigen Eintrittspreis auch noch Popmusik von teilweise halbwegs coolen Bands serviert.

Pop und Fußball, Jahre lang wurde gemurrt, dass in Deutschland diese beiden lebenwichtigen Dinge nicht richtig zusammenkommen würden, und nun ist die WM in Deutschland, und es werden Träume wahr. Seeed waren bereits da und haben das fußballarenagroße Behelfsstadion am Tage des Eröffnungsspiels gnadenlos ausverkauft. Angekündigt sind für Popkick des Weiteren Acts wie Mia, Kosheen und Señor Coconut: Pop zu Gast bei Freunden.

Was all diese Bands mit Fußball verbindet, ist zweitrangig. Hauptsache sie verbreiten etwas gute Laune, und wenn es auf dem Platz beziehungsweise auf dem Bildschirm mal wieder all zu fad daher geht, bringt es vielleicht ja wenigstens die Musik. Bei den Lightning Seeds aus England, die nach dem Spiel der englischen Mannschaft gegen Paraguay auftreten, verhält es sich jedoch ein wenig anders als mit all den anderen Bands.

Die Lightning Seeds sind eine echte Fußballband. Denn sie hatten diesen unwahrschenlichen Hit „Three Lions“. Der wurde zur Hymne der Europa-Meisterschaft in England 1996 und zum neuen „We are the Champions“, zur weltweiten Fußballhymne im Allgemeinen und zur besonderen für England. Auch bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft ist „Three Lions“ wieder der Song, auf den sich alle einigen können.

Das Erstaunliche ist, dass dem Lied nichts anzutun vermag. Man hat es so oft gehört, auch zerschunden aus den Kehlen alkoholisierter Männer, und dennoch strahlt es, wirkt unkaputtbar. Beim Auftritt der Lightning Seeds hätte man also gern Gänsehaut bekommen, wenn diese überaus britische Band nach dem Sieg Englands ihren Klassiker in den Himmel schmettert.

Aber als es dann so weit war, als „Three Lions“ vor der Zugabe dann endlich angestimmt wird, klingt es plötzlich doch nur wie ein Lied. Der magische Moment will sich zur konzertunüblichen Zeit am Nachmittag vor einem bescheidenen Publikum einfach nicht einstellen.

Gern hätte man sie jetzt um sich gehabt, die berühmten englischen Hooligans, ein paar dieser betrunkenen Fahnenschwenker, dieser enthemmten Mitgröler. Doch das Konzert entpuppt sich als Familienfest, auf der weiträumigen Wiese spielen Kinder weiter Fußball, man lässt sich fröhlich die Sonne auf den Bauch scheinen oder debattiert noch darüber, warum sich England gegen Paraguay so schwer getan hat.

Für eine ehemals so glamouröse Popband wie die Lightning Seeds, die mit ihren bereits Anfang der Neunziger erschienenen Platten dem perfekten Pop beängstigend nah gekommen sind, ist das ein entwürdigender Auftritt. Doch vielleicht ist dies das Schicksal einer Band, für die ein einziger Song ein Song der Missverständnisse, Fluch und Segen gleichzeitig geworden ist. Wahrscheinlich weiß sie selbst nicht mehr genau, ob sie eher das gute Gewissen des Britpops oder ein Fall für die Bierzelte dieser Welt ist.

Ihr berühmtester Song lebt längst auch ohne die Band, deren Namen die wenigsten derer kennen, die ihn selbst so gern singen. Diese Erkenntnis hat das Konzert mit sich gebracht, allein schon deshalb, weil er mit der Band nicht noch mehr lebt. Verloren steht die Gruppe um Sänger Ian Broudie auf der Bühne, die viel zu groß für sie ist. Ihr kurzer Auftritt ist nicht der frühe Höhepunkt eines Fußballnachmittags, sondern dient eher dazu, die Zeit zwischen zwei Spielen zu überbrücken, ist Anlass für viele, sich schnell nochmals ein Bier zu holen. Vielleicht ist Deutschland doch noch nicht reif für eine stilvolle Verbindung von Pop und Fußball.