: Borowski nur mit Ballack
Die Welt soll glauben, dass die deutsche Viererkette dem Qualitätsgegner etwa vier sichere Tore verspricht. Pustekuchen. Bereits jetzt hat Deutschland sieben starke Spieler. Es werden noch mehr
VON KLAUS THEWELEIT
Wunderbar, so ein Auftakttor von Philipp Lahm. Nach fünf Minuten in den Winkel statt 0:0-Gestochere bis zur Pause. Und man wusste: Es kann nichts schief gehen. Gleich zwei „Tore des Monats“ wollte ZDF-Kommentator Bela Rethy gesehen haben. In der Tat blieben sie konkurrenzlos in den Spielen des ersten WM-Wochenendes.
Die Frage war: Wie würde das Team aus Deutschland sich präsentieren nach den Monaten des Dauerfeuers gegen Klinsmann & Co. von Bild, der Bayern-Fraktion und Teilen der DFB-Führung; und nun auch noch ohne seinen Kapitän, der in letzter Minute ins Lager der Bild-Schurken übergelaufen schien. Die Antwort: entspannt. Klinsmann bewies sein Auswechselhändchen, indem er nicht den Sechser Frings vom Platz nahm, als er beim Stand von 3:1 den Sechser Kehl brachte, sondern, sozusagen systemwidrig, den bemüht, aber uneffektiv spielenden Ballack-Ersetzer Tim Borowski.
Erkenntnis: Ballack-Vertretung geht nicht (was Klinsmann und Löw meiner Meinung nach vorher wussten). Mit Ballack: gut. Ohne Ballack: schwieriger, aber geht auch. Doch Ballack-Vertretung geht nicht.
Frings bedankte sich mit dem fulminanten 4:2, dem Tor, das Borowski, sozusagen systemwidrig, nicht geschossen hatte und auch nicht geschossen hätte.
Stark in dieser Mannschaft waren vier alte Kämpen und ein bewährter junger: Schneider und Frings, die zum Korsett der Finalelf von 2002 gehörten; Geburtstagschef Klose, 29, bester deutscher Schütze der WM 2002 und nun auch in der Münchner Eröffnung 2006. Viertens: Lahm, gegen Costa Rica mit Abstand bester Spieler auf dem Platz; wie er auch schon mit Abstand bester deutscher Spieler war bei der Rudi-Völler-Abschieds-EM 2004 in Portugal. Fünftens Schweinsteiger, der fußballerisch aufblüht, je weiter entfernt vom glühenden Klinsmann-Boykotteur Felix Magath er auflaufen darf. (Würde er doch mit Poldi bei den Bremern spielen! Das gäbe eine spitzenmäßige deutsche Champions-League-Elf!)
Der sechste starke deutsche Spieler, Jens Lehmann, wurde nicht gefordert, aber zweimal von seiner Viererkette schmählich versetzt. Doch jeder von Lehmanns Abschlägen bzw. Abwürfen kam an. Als Spieleröffner ist er so gut wie ein Sechser. Der siebte starke deutsche Spieler saß auf der Bank, Michael Ballack, verletzt an Wade und Seele, aber allein sein Torjubel war das nächste Tor wert. Ein Vorbereiter selbst von der Bank aus.
Macht sieben starke Spieler. Neuville und Kehl blieben noch konturlos. Odonkor, eingewechselt drei Minuten vor Schluss, lieferte den angesagten Sprint zur Grundlinie plus Flanke: 5:2 hätte es heißen können, aber Podolski, an dem das Spiel vorbeilief, verstolperte. Macht sieben Stärken, ein, zwei Leerstellen und drei Schwachstellen. Fußballstrategen aus aller Welt konnten amüsiert konstatieren, dass die Deutschen auch im Jahr 2006, also gut 40 Jahre nach den Erkenntnissen von König Cruyff, das Prinzip Viererkette immer noch nicht begriffen haben.
Zu blöd? Trotz Jogi Löws Engelszungen-Intelligenz? (Ein Königreich für einen Owomoyela, möchte man ausrufen – in seiner Form der Werder-Barcelona-Spiele.) Ist aber alles Höflichkeit und Taktik. Man schickt, unter Freunden und vor den Augen der Welt, den Auftaktgegner der Show nicht mit 5:0 in die Katakomben. Und Klinsmanns Friedrich-Trick wirkt schon. Polens Stürmer Krzynowek im Interview: „Wir haben gesehen, dass die Gegentore durch die Mitte gefallen sind.“
Ja, Pustekuchen. Gegen Polen nicht mehr. Das soll die Welt ja glauben, dass die deutsche Viererkette zirka vier sichere Gegentore verspricht gegen Gegner vom Kaliber England, Schweden, Holland, Italien oder Argentinien. (Wie die Welt ja auch glauben soll, dass England nichts zu bieten hat als Beckham-Freistöße, die notwendig zu Eigentoren führen.) Nein, „Der da rechts defensiv spielen wird“ in der deutschen Elf, muss bloß drei Schritte nach vorn machen. Das ist zu schaffen bis zum Achtelfinale. Jansen und Huth stecken noch im Köcher, auch Umstellungen sind möglich. Klinsmann und Löw sind Turnierfüchse (wie Dittsche, dessen Hamburger Imbissbude Pause hat, nicht sagen darf).
Füchse! Die Wunschformation der Trainer haben wir noch nicht gesehen auf dem Platz. Sieben starke Spieler werden nicht reichen ab 24. Juni. Ich schätze, wir werden neun bis zehn sehen im Achtelfinale.
KLAUS THEWELEIT ist Kunstprofessor, Intellektuellen-Leitfigur der Post-68er und Autor des Fußballklassikers „Tor zur Welt“. Er gehört zum WM-Analyse-Team der taz