: „Ich schäme mich für Polen ...“
Jan Tomaszewski ist Polens größter Torhüter aller Zeiten. Vor dem WM-Spiel Deutschland – Polen am Mittwoch klagt er die Zustände im polnischen Verband an: „Eine Gruppe von zehn Leuten hat das Image des polnischen Fußballs auf Jahre zerstört.“ Was die WM 1974 betrifft: Der Regen war nicht schuld
INTERVIEW RAFAL WOS
taz: Herr Tomaszewski, Sie müssen die Deutschen ziemlich hassen.
Jan Tomaszewski: Wieso muss ich die hassen?
Weil Sie gegen die Deutschen immer verloren haben.
Gut, da halte ich es mit Gary Lineker.
Lineker hat gesagt: Fußball ist ein Spiel … und am Ende gewinnen immer die Deutschen.
So war es auch in meinem Fall. Ich gab mein Debüt als Torhüter im polnischen Nationalteam gegen Deutschland. 1971 war das. Beckenbauer, Netzer & Co. Die haben mich zur populärsten Persönlichkeit in Polen gemacht.
Wieso? Sie haben doch 1:3 verloren.
Ja, eben. Nach diesem Spiel wollte mich die Hälfte der Polen aufhängen und die andere Hälfte vertreiben. Was für eine Lektion habe ich damals gekriegt!
Also hassen Sie die Deutschen.
Nein, heute schätze ich auch diese Niederlage.
Wie bitte?
Jeder Spieler träumt doch davon, gegen den Besten zu spielen. Und damals waren die Deutschen die Besten. Vielleicht hätten wir die Deutschen sogar im Halbfinale der WM 1974 besiegen können. Wenn es nicht geregnet hätte.
Sie lachen?
Ach, der Regen muss immer für die 0:1-Niederlage herhalten. Wenn ich aber heute darüber nachdenke, ist es so, dass die Deutschen damals den Titel verdient haben.
Sie haben in jenem Spiel einen Elfmeter von Uli Hoeneß gehalten. Was hat Hoeneß falsch gemacht?
Ich habe schon im Spiel davor gegen Schweden einen Elfmeter von Stefan Tapper gehalten. Ich denke, Hoeneß wusste das. Er dachte wohl: Diesmal werde ich in die andere Ecke gehen. Ich habe in der letzte Sekunde eine winzige Bewegung nach links gemacht. Das hat ihm noch Sicherheit gegeben. Ich ging aber in die rechte Ecke. Und er hat mich mit dem Ball einfach getroffen.
Und das deutsche Siegtor?
Ja, danke, dass Sie mich daran erinnern. Klar war das mein Fehler! Vor dem Schuss stand ich genau da, wo der Ball dann auch hinging. Ich hätte mich einfach nicht bewegen dürfen. Aber Gerd Müller war eben König des Strafraums. Da war er genial. Der Ball hat ihn gesucht, nicht er den Ball.
War er Ihr stärkster Kontrahent?
Ich habe gegen alle Stars meiner Zeit gespielt: Cruyff, Kempes, Maradona. Aber der Gerd war der Einzige, der ein Patent für mich hatte.
Ihre Mannschaft aus dem Jahr 1974 gilt in Polen als beste aller Zeiten. Was machte sie aus?
Fußballerisch waren wir weniger brillant als andere Generationen. Wir kamen zur WM sogar ohne unseren größten Star: Wlodzimierz Lubanski.
Aber?
Die Mannschaften vor und nach uns hatten das Pech, keinen Kazimierz Gorski zu haben.
Den just verstorbenen Trainer.
Solche Leute sind doch unsterblich. Er ist der beste polnische Trainer aller Zeiten. Die wichtigste Person meines Lebens – neben meinen Eltern. Ich habe ihm so viel zu verdanken.
Was hat ihn ausgezeichnet?
Er war wie ein Fußballröntgengerät. Er konnte aus den Spieler immer das Beste rausholen. Besonders wichtig war, dass der Trainer uns nicht wie Nonnen betrachtet hat. Er war der Meinung, dass Fußballer keine Maschinen sind, sondern ruhig menschlich sein können. Man muss nur wissen, wie viel und mit wem.
Sie meinen die polnische Neigung zum Alkohol?
Ein Beispiel: Nach dem Spiel durften wir in der Sauna Bier trinken. Wenn aber jemand übertrieb, dann war Gorski auch kein Weichei. Aber solche Leute sind doch unsterblich. Vor allem waren wir ein echtes Team. Das ist heute nicht mehr der Fall.
Sie meinen die jetzige Nationalmannschaft?
Ja, ich schäme mich für manchen Spieler, der unser Land bei der WM repräsentieren wird.
Wen meinen Sie?
In der Mannschaft spielen Leute wie der junge Abwehrspieler Dariusz Dudka, der unter Alkoholeinfluss einen Menschen mit dem Auto getötet hat. Oder nehmen Sie Andrzej Placzynski …
… den Leiter der polnischen Dependance des mächtigen Fernsehrechtehändlers SportFive, der eng mit dem Verband PZPN zusammenarbeitet.
Es ist bezeichnend, dass Placzynski für den SB …
… die polnische Stasi …
… gearbeitet hat. Er ist für viele Unregelmäßigkeiten rund um den polnischen Fußball verantwortlich. Aber am meisten schäme ich mich für den polnischen Verband.
Sie nennen den Verband „die letzte Bastion des Kommunismus in Polen“.
Eine Gruppe von zirka zehn Leuten monopolisiert die Macht und betrachtet den polnischen Fußball als ihr eigenes Königreich. Kritische Debatten werden komplett blockiert. Ich frage mich: Wie kann man in solch einem Umfeld zum Beispiel die durchaus gängige Praxis der Schiedsrichterbestechung bekämpfen? Gar nicht. Das Schlimmste ist aber, dass sie das Image des polnischen Fußballs bei den einfachen Leuten, bei den eigentlichen Fans, für lange Jahre zerstört haben. Vor ein paar Jahren habe ich mich entschlossen, diese Verbandsmafia zu bekämpfen.
Wie?
Zuerst als Publizist und Fernsehkommentator. Später wurde ich ehrenamtlich zum Chef des so genannten Ethikausschusses berufen. Ich sollte den polnischen Fußball von innen heilen.
Hatten Sie Erfolge?
Das ging nicht. Ich habe schnell gemerkt, dass es von den Machthabern nicht gewünscht ist. Weil ich unabhängig bleiben wollte, wurde mein Ausschuss vom Verbandspräsidenten Michal Listkiewicz autoritär aufgelöst.
Warum waren Sie unbequem?
Ich habe drei Kriminalermittlungen der Staatsanwaltschaft angestoßen.
Welche?
Im ersten Fall ging es um die Fälschung des eigenen Statuts durch den Fußballverband selbst. Dann ging es um die illegale Lizenzvergabe für Widzew Lodz. Der dritte Fall betraf die Fernsehrechte. Da hat ein Rechtevermittler, der mit dem Fußballverband eng verbunden ist, 29 Prozent der Kaufsumme bekommen. In viele Fälle ist einer der besten polnischen Fußballer aller Zeiten verwickelt, der Exnationaltrainer und damalige Verbandsvizepräsident Zbigniew Boniek.
Boniek ist als Legende und Fußball-Unternehmer eine wichtige Figur.
Ja, klar.
Können Sie seine Verwicklungen belegen?
Der ehemalige Nationaltorwart Jerzy Dudek hat eine Autobiografie geschrieben. Da gibt es eine Stelle, wo er beschreibt, wie Boniek vor der Weltmeisterschaft 2002 den Werbevertrag mit Coca-Cola bei den Spielern durchgesetzt hat. Boniek sagte, so erzählt es Dudek: „Wer dieses Scheißpapier bis Morgen nicht unterschreibt, fährt zur WM nicht mit.“ Es ist nur ein Beispiel. Es war verdammt schwer, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu gewinnen. Bald aber sollen die ersten juristischen Urteile kommen.
Wollten „diese Leute“ Sie nie bestechen?
Doch! Kaufen, kompromittieren, erschrecken. Kurz vor der WM 2002, als ich meine ersten kritischen Artikel veröffentlicht habe, hat mich Boniek angerufen und sagte, er könne eine Stelle im Verband für mich finden. Ich habe abgelehnt.
Und?
Damals hat sich auch der ehemalige Fernseh-Sportchef Zygmunt Lenkiewicz bei mir gemeldet und sagte: Entweder sprichst du gut über Boniek, oder wir verabschieden uns von dir als Kommentator. Später rief Boniek noch ein paarmal bei mir an und sagte: „Wenn du nicht aufhörst, finde ich etwas gegen dich.“ Bald darauf hat er mich öffentlich dafür kritisiert, dass ich als mehrmals Geschiedener nicht glaubwürdig sei.
Heute sind Sie nicht mehr beim Fernsehen. Haben Sie keine Angst, als einsamer, verrückter Don Quichotte zu enden?
Ich sage Ihnen was: Vor diesen Leute habe ich keine Angst. Die können mir nicht am Zeug flicken.