: Der Gentleman-Ganove
Die Wahrheit-Wochen der kleinen Verbrechen. Heute: Scheckbetrug in Rio
Mir war klar, dass ich übers Ohr gehauen wurde. Aber es war zu spät, mich zu wehren – während Hervé und Ettore mich mit Anekdoten über ihr aufregendes Leben als illegale Einwanderer belaberten, war Eric längst über alle Berge. Und meine Schecks mit ihm.
Ich war wie gelähmt, ich tat so, als durchschaute ich ihr falsches Spiel nicht, ich stellte mich also noch doofer, als ich war, und redete mir ein, mit coolem Verhalten mein Gesicht besser zu wahren als mit einem Wutausbruch. Vielleicht geschieht mir ganz recht, fuhr mir durch den Kopf, habe nicht ich diese Betrugsserie erst losgetreten? Und überhaupt: Was könnte ich mit diesen Schecks so kurz vor meinem Rückflug überhaupt noch anstellen? Selbstverständlich ist meinen Komplizen klar, dass mir keine Zeit blieb, es ihnen heimzuzahlen! Warum habe ich Trottel diesen drei miesen Kleinkriminellen bloß vertraut!? Wie auch immer: In dieser Sache war ich der gelackmeierte Tölpel, und die Schmach brannte sich unauslöschlich in mir ein. So endete meine Karriere als internationaler Scheckbetrüger.
Dabei hatte sie so viel versprechend und romantisch begonnen: Ich war 21, reinen Herzens und Gewissens und allein im Sündenpfuhl Rio unterwegs, als ich eines Nachts in einer übel beleumundeten Spelunke dem amerikanischen Schriftsteller Lorenzo de Kleinhans über den Weg lief. Lorenzo war ein begnadeter Erzähler, der sein brasilianisches Exil Nacht für Nacht mit neuen Storys begründete – mal hatte er bei einem Drogendeal in Miami einen Cop abgeknallt, mal war er aus einem kalifornischen Staatsgefängnis ausgebrochen, mal war seine Affäre mit der Braut eines Mafioso der Grund für seine überstürzte Flucht … Lorenzo erzählte, ich hörte zu, gebannt und beeindruckt. Besonders aufmerksam lauschte ich, als er mir erklärte, wie problemlos man eine Bank um eine Hand voll Dollars erleichtern und sich um die Hälfte dieser Hand voll bereichern könne.
Am nächsten Tag wurde ich prompt „ausgeraubt“ und begab mich zur nächsten Bankfiliale. Die Angestellte war sehr verständnisvoll, sie linderte die Nachwirkungen meiner, wie sie sagte, „bestimmt traumatisierenden Erfahrung“ mit tröstenden Worten, und statt mich misstrauisch zu verhören, war sie es, die den Tathergang schilderte: „Sie trugen Ihre Reiseschecks bestimmt in der Gesäßtasche.“ – „Ja.“ – „Dann haben Sie etwas gespürt.“ – „Ja.“ – „Und als Sie sich umdrehten, sahen Sie jemanden wegrennen.“ –„Ja.“ Und so weiter.
Indes, Lorenzo schien nicht sehr erpicht auf meine Schecks. In Rio sei die Situation momentan zu brenzlig für ihn, behauptete er. Freunde hätten ihm für derlei Geschäfte aber einen Franzosen in Salvador de Bahia empfohlen – ich müsse in der Bar A Noite nach Hervé fragen.
In Salvador angekommen, suchte ich umgehend besagte Bar auf. Vertrauensvoll wandte ich mich an den Barmann, dieser wies auf zwei junge Typen auf der Terrasse, Hervé war über die Empfehlung eines ihm unbekannten Amerikaners verwundert, an meiner Offerte jedoch interessiert, und um den Deal zu besiegeln, drückte mir sein Kumpan Ettore eine kleine Plastiktüte Marihuana in die Hand.
Wenig später schmauchte ich ein Haschzigarettchen und malte mir meine Zukunft als internationaler Scheckbetrüger aus. Ein Gentleman-Ganove, ja, das wollte ich sein, ich wollte multinationale Geldinstitute um einen Teil ihrer unrechtmäßig angehäuften Steuerfluchtmilliarden aus Drittweltländern erleichtern und das Geld dahin zurückbringen, wo es hingehörte. Die nicht unwillkommene Nebenwirkung meiner ethisch korrekten Bankräuberei wäre, dass sie meine künftigen Weltreisen finanzieren würde. Wie schön war doch das Leben!, seufzte ich zwischen zwei Zügen, wie grenzenlos lockte die Zukunft!
Und nun? Als Hervés zweiter Komplize, der Unterschriftenfälscher Jean-Luc, in der Eingangshalle eines Bürogebäudes meine Schecks in Empfang nahm, spürte ich instinktiv, dass der Gentleman-Ganove Gasser das Opfer ehrloser Gauner wurde. Ich ahnte, dass auch Hervé und Ettore den erstmöglichen Vorwand nutzen würden, um ihrerseits unterzutauchen.
Wie bestellt bauten sich drei Polizisten in unserer Nähe auf – der Boden sei zu heiß für sie, flüsterte Hervé nervös, sie schworen mir, dass Jean-Luc – „ce salaud!“ – nicht ungeschoren davonkäme, und hüpften ins nächste Taxi. Ich verweilte noch einige Augenblicke in der klimagekühlten Halle, verdattert und gedemütigt. Mir schwante, dass ich noch viel zu lernen hatte. Das entmutigte mich, und deshalb beschloss ich, von der krummen Laufbahn wieder abzukommen und den letzten Nachmittag in Brasilien stattdessen am Strand zu verbringen.
CHRISTIAN GASSER