Hamas beendet Waffenruhe mit Israel

Palästinenser im Gaza-Streifen fordern Vergeltung für den Tod von sieben Unschuldigen. Die israelische Regierung kündigt eine Untersuchung an. Präsident Abbas will sein Referendum über eine Zwei-Staaten-Lösung mit Israel am 26. Juli durchführen

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Der Waffenruhe der Hamas ist vorbei. Nach 16 Monaten offizieller Feuerpause schossen Aktivisten der islamistischen Bewegung gestern erneut Kassam-Raketen auf Israel. Parolen wie „Vergeltung“ oder der wiederholte Ruf nach einer „Zerstörung Israels“ klangen aus den Lautsprechern, während tausende aufgebrachte Palästinenser den Trauerzug für sieben Angehörige einer Familie begleiteten, die am Freitag am Strand von Gaza vermutlich einem israelischen Artillerie-Angriff zum Opfer fielen. Die siebenjährige Tochter, die etwas abseits unter einer Decke schlief, ist die einzige Überlebende der Familie, die dort in der Sonne lag.

„Was hier passierte, ist schlimmer als der Mord an Mohammad al-Dura“, sagte einer der Trauernden. „Nun will mein Sohn, der immer drängelte, Schwimmen zu gehen, nicht mehr an den Strand.“ Der 12-jährige Mohammad al-Dura war im Oktober 2000 in ein Feuergefecht geraten und starb vor laufenden Fernsehkameras in den Armen seines Vaters. Die erschreckenden Bilder von dem Jungen, der rasch zum Märtyrer gemacht wurde, wirkten damals wie Öl auf dem Feuer der eben begonnenen „Al-Aksa-Intifada“. Die israelische Armee und die Regierung bedauerten den Tod der Familienangehörigen und kündigten eine Untersuchung an. „Sollten unschuldige Zivilisten von einem israelischen Beschuss getötet worden sein, so ist das völlig unakzeptabel“, kommentierte Regierungssprecher Mark Regev. Deutlich distanziert warnte der für die internationalen Medien zuständige Regierungssprecher Raanan Gissin davor, überstürzt die Verantwortung zu übernehmen. „Die Armee wird aus ihren Fehlern nicht klug“, kritisierte Gissin und erinnerte an al-Dura, für dessen Tod die damalige Armeeführung umgehend die Verantwortung übernahm. Spätere Untersuchungen warfen die Frage auf, ob al-Dura überhaupt von einer israelischen Kugel getroffen worden war.

Nach Auskunft einer Armeesprecherin gab es am späten Freitagnachmittag sechs israelische Artillerieangriffe. „Bei fünf Angriffen können wir ausschließen, dass sie die Familie getroffen haben“, so die Sprecherin. Der sechste Angriff werde geprüft. Stabschef Dan Chalutz gab Befehl zur Einstellung des Artilleriebeschusses und bot den Palästinensern medizinische Hilfe an. Gleichzeitig kündigte er eine Fortsetzung der Verfolgung der „Kassam-Zellen und derer, die die Raketen herstellen“, an.

Gestern früh starben zwei Palästinenser, die israelischen Angaben zufolge dem militärischen Flügel der Hamas angehörten, bei einem Angriff der Luftwaffe. Der Knesset-Abgeordnete Zachi Hanegbi (Kadima) fürchtet, dass eine Konfrontation mit der palästinensischen Regierung unvermeidlich ist. „Sollte die Regierung dem Terror grünes Licht geben, ist niemand mehr immun“, drohte Hanegbi.

Mehr als 30 Kassam-Raketen waren am Wochenende auf die israelische Stadt Sderot abgefeuert worden, wo am Sonntag Schulen und Kindergärten geschlossen blieben. Ein Israeli trug lebensgefährliche Verletzungen davon. Die Hamas, die seit dem israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen lebhaft an dem über die ägyptische Grenze laufenden Waffenhandel beteiligt ist, selbst aber bislang keine Raketen abschoss, übernahm zum ersten Mal seit Anfang letzten Jahres die Verantwortung für die Angriffe.

Vor dem Hintergrund der Eskalation trafen Palästinenserpräsident Mahmud Abbas (Fatah) und Premierminister Ismail Hanije (Hamas) zu erneuten Verhandlungen über das so genannte Gefangenenpapier zusammen, über das der Präsident ein Referendum durchführen möchte. Die Palästinenser sollen, vorausgesetzt Abbas und Hanije einigen sich nicht, am 26. Juli mit „Ja“ oder „Nein“ über einen von inhaftierten Palästinensern aller Fraktionen ausgearbeiteten Kompromissplan entscheiden. In dem 18 Punkte umfassenden Papier geht es um die Errichtung Palästinas in dem 1967 besetzten Gebiet und die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit. Die Hamas lehnt vorläufig sowohl das Dokument als auch das Referendum ab.