Tokio sucht energiereiche Freunde

Gespanntes Verhältnis zu China, kein Verhältnis zu Russland, 90 Prozent der Energierohstoffe aus konfliktträchtigen Regionen – Japan denkt angesichts knapper werdender Ressourcen in seiner Außenpolitik um. Energie-Weißbuch empfiehlt Atomkraft

AUS TOKIO MARCO KAUFMANN

Japans neuestes Energieweißbuch drängt auf eine „ressourcenorientierte“ Außenpolitik. Konkret: Tokios Diplomaten sollen engere Beziehungen zu Staaten mit Öl- und Gasreserven knüpfen. Die Autoren aus dem Wirtschafts-, Handels- und Industrieministerium sorgen sich um die Versorgungssicherheit der zweitgrößten Volkswirtschaft. Denn ungeachtet der schrumpfenden Bevölkerung steigt Japans Energieverbrauch.

Tokio habe die strategische Bedeutung von Energieressourcen bisher unterschätzt, bilanziert das Japan-Forum für Internationale Beziehungen. Die unabhängige Denkfabrik rät dazu, die Beziehungen mit Russland zu verbessern. Die enormen Gas- und Ölvorkommen im nördlichen Nachbarland könnten Japan helfen, sich von der starken Abhängigkeit gegenüber dem Nahen und Mittleren Osten zu lösen. Von dort bezieht Japan 90 Prozent seines Ölbedarfs.

Bislang verhindert der Streit um die von Russland verwalteten Kurilen-Inseln normale Beziehungen zu Moskau. Russland hat deshalb wenig Anreiz, Japans Wünsche bei der Routenwahl der in Sibirien gebauten Pipelines zu berücksichtigen. Stattdessen überlegt man sich in Moskau, das energiehungrige China zum Zuge kommen zu lassen.

Im Nahen und Mittleren Osten setzt Japan insbesondere auf den Iran – nach Saudi-Arabien der zweitwichtigste Öllieferant für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Die relative Bedeutung des Mullah-Staates dürfte noch zunehmen: Japanische Firmen haben Entwicklungsrechte in Azadegan, einem der größten Ölfelder. Mahnungen aus Washington, diese Beziehung zu beenden, blieben in Tokio bislang ungehört.

Ebenso die Aufforderung der USA, den Iran wegen dessen Atomprogramms mit Sanktionen zu bestrafen. Man sei noch nicht so weit, solche Maßnahmen überhaupt zu erwägen, wehrte Japans Außenminister Taro Aso das energische Werben Amerikas ab. Japan stellt seine Energiebedürfnisse den Wünschen des Allianzpartners voran.

Gleichzeitig hält Japan im Wettstreit um Ressourcen nach neuen Partnern Ausschau. Vergangene Woche lud Außenminister Aso Vertreter aus Kasachstan, Usbekistan, Turkmenien, Tadschikistan und Kirgisien. Auf der Agenda stand neben Terrorismus- und Drogenbekämpfung auch das Thema „Erschließung von Energiequellen“. Aso betonte, dass Japan damit den Regionalmächten Russland und China nicht in die Quere komme.

Bei den schwer belasteten Beziehungen mit China stellt der Disput um die Erschließung von Gasfeldern im Grenzgebiet zu Japan ein zentrales Konfliktfeld dar. Allerdings verweist das gerade vorgestellte Energieweißbuch auf hoffnungsvolle Schritte. Peking und Tokio erforschen gemeinsam die möglichst sparsame Nutzung von Energie – ein Beispiel für Ressourcen-Diplomatie auf kleiner Flamme.

Dazu zählt auch Japans Vereinbarung mit Brasilien, künftig pflanzenbasiertes Ethanol als Brennstoff für Autos zu importieren. An der Nachhaltigkeit dieser Ressourcen-Diplomatie scheinen Tokios einflussreichen Bürokraten noch nicht so recht zu glauben: Laut dem Weißbuch soll die Atomenergie gestärkt werden. Japan müsse den Anteil von bisher 30 Prozent auf 40 Prozent „oder mehr“ erhöhen.