portrait
: Vom Sektierer zum Wirtschaftssenator

Wer erfahren will, wer Gregor Gysi an der Spitze der Berliner PDS folgt, dem hilft ein Blick in sein Gesicht. Heute hat Harald Wolf ein leidlich frisch rasiertes Politikerantlitz, das auch einem CDU-Mann gehören könnte. Vor 16 Jahren war er noch bei den Grünen, die untere Gesichtspartie mit Vollbart zugewachsen, der Blick etwas griesgrämig. Doch hinter dem Äußeren ist der frisch zum PDS-Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl Gekürte derselbe geblieben. Und das ist der Punkt.

Weil Wolf so unauffällig wirkt, kann er scheinbar Unvereinbares vereinen: Der49-Jährige bezeichnete sich einst als Trotzkist – und ist seit vier Jahren Wirtschaftssenator der Hauptstadt. Die Grünen verließ er 1990 im Streit, weil sie ihm zu angepasst waren – heute verficht er in einer Koalition mit der SPD Klaus Wowereits den rigidesten Sparkurs, den Berlin seit Kriegsende erlebt.

Über das Privatleben des gebürtigen Offenbachers ist kaum mehr bekannt, als dass er verheiratet ist. Der Westdeutsche führt einen der größten Landesverbände der bis heute im Osten verwurzelten PDS in den Wahlkampf. Sein wichtigster Verbündeter ist sein jüngerer Bruder Udo, der bis heute alle politischen Wege mit ihm gegangen ist. Wolf, der für sich in Anspruch nimmt, er habe „Erfahrung als Sektierer“, will für seine Partei am 17. September „17 Prozent plus X“ der Stimmen holen. Das Erstaunliche: Sein Kalkül könnte aufgehen.

Seit dem turbulenten Start der rot-roten Senatskoalition Anfang 2002, als politische Gegner einen „kommunistischen Block im Roten Rathaus“ heraufziehen sahen, ist es ruhig geworden. Der damalige Spitzenkandidat Gysi hatte bei der Landtagswahl mehr als 22 Prozent geholt, um acht Monate später vom Posten des Wirtschaftssenators abzutreten. Im August 2002 war die Zeit für den Anti-Gysi Wolf gekommen, und er nutzte sie. Aus purer Personalnot wurde der Fraktionschef zum Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen. Doch Wolf lernte schnell, Strukturen und Zahlen liegen ihm. Heute halten Kritiker dem Senat bestenfalls Langweiligkeit vor. Der Arbeitslosenquote von 18 Prozent stellt er Erfolge bei Unternehmensansiedlungen entgegen, allen voran die Genehmigung für den Großflughafen.

Beharrlich, still arbeitet Wolf zugleich an der Verwirklichung eines weiteren Traums: einer neuen gesamtdeutschen Linken. Schon 1990 verfocht er diese Vision, doch erst heute sieht er sie in greifbarer Nähe. Es gehört zu den vielen Paradoxien im politischen Leben Wolfs, dass dem Extrotzkisten dabei ausgerechnet die Sektierer und Trotzkisten der Berliner WASG im Wege stehen. Aber mit so etwas hat er ja Erfahrung.

MATTHIAS LOHRE