piwik no script img

Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Augen aufmachen!

■  betr.: „Nebensachen aus Delhi“, taz vom 7. 6. 10

Immer wieder hört man die Empfehlung, bettelnden Kindern nichts zu geben. Bei behinderten Kindern könnte man womöglich eine Mafia unterstützten, die Bettelkinder extra verstümmele, oder man könnte Kinder vom geregelten Schulbesuch abhalten. Könnte man. Man muss aber die Tatsache anerkennen, dass es so viele Straßenkinder in Delhi sind, die tagtäglich um ihr Überleben betteln müssen. Bettler führen uns das Versagen der Gesellschaft vor. Auch wird die individuelle alltägliche Spendenentscheidung wohl kaum einen nennenswerten Einfluss auf die großen Elendsstrukturen ausüben.

„Augen zu und durch“ wird zu häufig praktiziert. Jeder Bettler hat das Recht, auf sein Elend hinzuweisen. Und jeder potenzielle Spender muss sich damit beschäftigen: Es gibt wesentlich unanständigere Methoden der Geldbeschaffung. Ich kann nur vor den Vorurteilen der hier genannten „Augen zu und durch“-Fraktion warnen. Es stimmt einfach nicht, dass in Indien nur Ausländer spenden. Es gibt unzählige Einzelpersonen und Hilfsprojekte, die ohne Ausländer hervorragende Arbeit machen. Um davon zu erfahren, muss man allerdings auch die Augen aufmachen.

RAINER SONNTAG, Südindien

Schlagzeilentaugliche Schlichtheit

■  betr.: „Beten hilft nicht“, taz vom 7. 6. 10

Ich lese, eine „Studie zeigt (!): Je religiöser muslimische Jugendliche sind, desto gewaltbereiter sind (!) sie“. Dasselbe Institut von Christian Pfeiffer hatte vor Jahren jugendlichen Rechtsextremismus in den östlichen Bundesländern auf die Art der frühkindlichen Krippen- und Horterziehung in der verblichenen DDR zurückgeführt. Und erst jüngst wurden die Einrichtungen der offenen Jugendarbeit als Brutstätten jugendlicher Delinquenz ausgemacht, was zu Recht in sachkundigeren Kreisen einen ungewohnt lauten Aufschrei der Entrüstung zur Folge hatte. Vorsicht ist bei Verlautbarungen aus dem Hause Pfeiffer also angebracht. Dann darf ich aber auch im aktuellen Fall von (m)einer Qualitätszeitung mehr erwarten als die bloße Zusammenfassung von Agenturmeldungen. Der Zusammenhang zwischen der schlagzeilentauglichen Schlichtheit der präsentierten „Erkenntnisse“ und einer gewissen methodisch-interpretatorischen Unbedarftheit erschließt sich freilich erst durch ein wenig analytische Anstrengung. Aber: Da bitt’ ich drum.

HANS-JÜRGEN STRACK, Butzbach

Wer Schwarz-Gelb wählt, ist selbst schuld

■  betr.: „Schwarz-Gelb versaut den Sommer“, taz vom 8. 6. 10

„Harte Einschnitte für alle“ hatte die Kanzlerin angekündigt. Der Satz war wohl unvollständig wiedergegeben. Denn gemeint waren „harte Einschnitte für alle, die sich nicht wehren können“. Den Arbeitslosen das letzte Hemd zu nehmen und die Begüterten zu schonen – dazu gehört schon eine gute Portion Schamlosigkeit. Vermögenssteuer, Kapitalertragssteuer, Erbschaftssteuer – alles heilige Kühe, unantastbar und tabu. Und das, obwohl inzwischen eine Reihe von Millionären in Deutschland selbst nach einer höheren Besteuerung der Reichen rufen.

Wer nach diesem Sparpaket bei der nächsten Wahl noch sein Kreuz bei Schwarz-Gelb macht, ist selbst schuld. Und hat auf alle Zeit sein Recht auf Klagen verwirkt.

BARBARA SKERATH, Köln

Sozialhilfe nur noch für Banken

■  betr.: „Sparen bei den Schwächsten“, taz vom 9. 6. 10

Dass bei den Schwächsten gespart werden soll, juckt mich wenig: Viel schlimmer ist, dass die Schwächsten nicht mehr in eigener Regie sparen, also gestalten können. Einige Beispiele: Ich kann auf Radio und Fernsehen verzichten wollen. Bezahlen muss ich trotzdem, weil ich im Auto Verkehrsfunk hören will, und Fernsehgebühren muss ich demnächst auch dann bezahlen, wenn ich halb blind bin und gar keinen Fernseher habe! Ich kann meinen Strom-/Gas-Verbrauch reduzieren, aber Grund- und Bereitstellungsgebühr können beliebig erhöht werden. Man könnte 1.000 bis 3.000 Spezialermittler in Regie der Finanzämter hoch wie Steuerberater bezahlen und damit einen Milliardenbetrag erwirtschaften; stattdessen schickt man die fähigsten Beamten zum Psychiater (Hessen).

Sozialhilfe gibt es demnächst vorrangig für Banken und Versicherungen. Auch hier gibt es niemanden unter den Journalisten, der das mal gegenrechnet. Arbeitssuchende, die gerade aus der Schule kommen, werden erneut „geschult“, anstatt ihnen wirklich zu helfen. Die Kosten für diese Art von Statistikbereinigung sind enorm, und auch sie werden von niemandem gegengerechnet. Autos kann man leiser machen ohne Aufwand – stattdessen werden kostspielige Lärmschutzwälle errichtet. Die Liste könnte ich Ihnen beliebig erweitern.

VOLKER ERLBRUCH, Schwelm