: Wie in Palermo im August
Die WM kommt an der Leine an: Vor dem ersten Spiel in Hannover regieren Sponsoren, Sport und ausgelassene Stimmung Fanmeile und Fan-Arena. Ein Bunny verteilt String-Tangas, Ghana tanzt
Von Kai Schöneberg
Auch wenn die Abwehr mit Lokalmatador Per Mertesacker gar nicht so „super“ gespielt hat, wie die HAZ bemerkt: In Hannovers City mit der angeschlossenen „Fanmeile“ und in der „Fan-Arena“ auf dem Waterlooplatz ist das dieser Tage ein recht häufig gebrauchtes Wort. Immerhin fand nun endlich das erste WM-Spiel seit fast 32 Jahren an der Leine statt – am 30. Juni 1974 hatte Brasilien die Argentinier in der Niedersachsen-Arena mit 2:1 geschlagen.
Die Lokalzeitungen munkeln derweil von „Expo-Laune“, seit der WM-Eröffnung am Freitag haben geschätzte 250.000 Besucher die ganze Stadt „balla balla“ (Bild) geschaukelt, inklusive wildestem Autokorso nach dem Sieg der deutschen Mannschaft über Costa Rica.
Schon in der S-Bahn zum „FIFA WM-Bahnhof Hannover“ spielen zehnjährige Mädels das Deutschlandlied auf dem Handy, die Stations-Ansage ist auch auf japanisch – dabei spielte gestern Abend Italien gegen Ghana. Mit 43.000 Zuschauern war die Partie natürlich ausverkauft, Kaiser Franz, FIFA-Chef Joseph Blatter und Bundespräsident Horst Köhler samt Gattin Eva hatten sich angesagt, die Landesregierung hatte ihre Minister sogar zur Anwesenheitspflicht für die Hannover-Spiele verdonnert.
Am Bahnhof erwarteten die normalen Anhänger WM-Sushi, Sponsor Conti hatte eine Schießwand aufgestellt, am Kaufhof standen Schlangen an den Ständen für Tifosi-Fangut. „Hannover war heute wie Palermo im August“, hat selbst die italienische Gazzetta dello Sport bemerkt.
Im Hannover-Tower, am Kröpke gibt es Bier für 3 Euro, nebenan trommelt und singt ein Trupp aus Ghana. Gleich kommt „Playboy“-Bunny Alexandra Reichel und verteilt String-Tangas. Ein Brite bietet auf einem Schild satte 2.000 Euro für ein Ticket für das Spiel England gegen Schweden.
Ansonsten ist die Stimmung schlicht ausgelassen. Das liegt vor allem an den vielleicht 3.000 Fans aus Ghana, auch wenn sie den etwa 10.000 Italienern mengenmäßig eindeutig unterlegen sind. Hannover hat zwar viele Eisdielen, aber fußballerisch zudem eher Verbindungen zu Ghana: Einst spielten bei 96 Otto Addo und Gerald Asamoah.
20 italienische Polizisten sind eigens aus Südtirol nach Hannover gereist, um die Fans zu überwachen. Bis zum späten Nachmittag meldete die Polizei, die die gesamte Gegend ums Stadion für den Durchgangsverkehr gesperrt hat, „keine besonderen Vorkommnisse“. Vom angekündigten WM-Ausnahmezustand ist wenig zu merken. Dafür spielen an der Marktkirche die Weltmusiker und clowns von „Adesa“ im „Global Village“, an den Ständen des 96-Fanclubs „Rote Reihe“ war das notorische Panini-Bildchentauschen in vollem Gange.
Immerhin sorgt sich die WM-Stadt Hannover um die Dauergucker im Fernsehsessel. Als Ausgleichssport haben Stadtväter und der Kreis-Leichtathletik-Verband Couch-Potatoes für den kommenden Mittwoch zum Nordic Walking oder Laufen rund um den Maschsee eingeladen.