: „Käuflicher Sex soll legal bleiben“
Verbote helfen gegen Zwangsprostitution nicht viel, sagt die ehemalige OSZE-Beauftragte zur Bekämpfung des Menschenhandels. Opfer brauchen gesetzlichen Schutz
taz: Frau Konrad, zur WM sollen angeblich 40.000 Zwangsprostituierte ins Land geschleust werden. Stimmen diese Zahlen?
Helga Konrad: Ich halte von diesen Zahlen nichts. Höchstens werden es 40.000 Prostituierte sein. Natürlich müssen wir achtsam sein, ob darunter nicht Opfer von Menschenhandel sind.
Wie definieren Sie Menschenhandel?
Menschen werden in eine oft sklavenähnliche Situation gezwungen, aus der sie sich nicht befreien können. Ein Bereich ist die sexuelle Ausbeutung. Aber auch Arbeitsausbeutung, Zwangsheiraten, Zwangsarbeiten, Schuldknechtschaft und Organhandel gehören dazu.
Die Grenzen zwischen Freiwilligkeit und Zwang sind oft nicht leicht zu erkennen.
Ja, denn wer wird sich gleich als Opfer bezeichnen? Wir können nur herausfinden, ob etwa Frauen zur Prostitution gezwungen wurden, wenn sie Vertrauen zu den Ermittlern haben. Wenn sie nicht in Schutzhaft kommen, sondern zu einer NGO gehen und in Ruhe überlegen können, was sie weiter tun wollen.
Und doch werden diese Frauen oft schnell abgeschoben …
Das Herumschieben ist ein Merkmal von Menschenhandel. Bis zu 50 Prozent derer, die nach Hause geschickt werden, werden wieder in den kriminellen Zirkel zurückgeführt. Wenn ihnen aber von vornherein klar ist, dass die Opfer bleiben dürfen, dass ihnen das Gastland Hilfe, Beratung, vielleicht andere Arbeitsmöglichkeiten anbietet – dann werden sie sich eher als Opfer zu sehen getrauen und helfen, die Täternetzwerke auszuhebeln.
Sind Razzien ein effektives Mittel gegen Menschenhandel?
Sicher nicht das beste. Was soll man schon finden, wenn man in irgendeinen Massagesalon reinstößt? Ein paar Mädchen, meist Illegale, die abgeschoben werden. Razzien sind in der Szene meist ohnehin vorher bekannt. Hinter Menschenhandel stehen komplexe kriminelle Netzwerke. Die müssen wir aufbrechen. Und wir brauchen mehr Aufklärung in den Herkunftsländern.
Wie kann diese aussehen?
Die Frauen sollten Namen und Telefonnummern der Anbieter aufschreiben, sich nach Hilfe-Hotlines im Zielland erkundigen. Das Schwierige am Menschenhandel ist, dass er immer wieder anders abläuft. Am Anfang eines Transports wissen künftige Opfer oft noch gar nicht, dass sie Opfer sein werden. Die Händler locken und schmeicheln, später zwingen sie die Menschen, etwas zu tun, was sie nicht wollen.
Wie groß ist das Ausmaß des Menschenhandels in Europa?
Menschenhandel ist wahrscheinlich das lukrativste kriminelle Geschäft weltweit. Jedes Land ist betroffen, als Herkunfts-, Transit- oder Zielland, meist als Mix aus allem. Bis zu 35 Milliarden Dollar fließen jährlich an die Zuarbeiter. Langfristig müssen wir die wirtschaftliche Lage in den Ursprungsländern verbessern und Diskriminierung abbauen. Wenn die Menschen dort keine Alternative haben, werden sie trotz Aufklärung Schleppern folgen. Wir können wenigstens darauf achten, dass ihre Situation nicht ausgenutzt wird.
In Schweden ist käuflicher Sex strafbar, hier will die CDU Freier von Zwangsprostituierten strafrechtlich verfolgen. Was halten Sie davon?
Von dem schwedischen Gesetz halte ich nicht viel. Die Tätigkeit von Prostituierten wird so in den Untergrund gedrängt, das Geschäft ist weniger sichtbar, weniger geschützt. Freier allerdings, die wissen, dass sie es mit Opfern von Menschenhandel zu tun haben, müssen sicher zur Verantwortung gezogen werden.
Was müsste sich in Deutschland ändern?
Hier liegt der Schwerpunkt auf umfassendem Zeugenschutz. Das ist gut, aber zu kurz gegriffen. Der Schutz sollte für alle Opfer, nicht nur die Aussagewilligen gelten. Zudem umfassen die Gesetze leider noch nicht Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung.
INTERVIEW: ANJA DILK