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Archiv-Artikel

Klarer Sieg, aber Mehrheit wählt gar nicht

CHILE Mit überwältigenden 62 Prozent der abgegebenen Stimmen zieht Michelle Bachelet zum zweiten Mal in den Präsidentenpalast ein. Die Notwendigkeit grundlegender Reformen ist inzwischen noch größer. 58 Prozent der WählerInnen blieben einfach zu Hause

Die großen Reformen „sind Aufgaben, die eine Amtszeit überschreiten“

VON JÜRGEN VOGT

BUENOS AIRES taz | Michelle Bachelet schaffte das Double. Zum zweiten Mal wurde die 62-jährige Sozialistin zu Chiles Staatspräsidentin gewählt. Am Sonntag gewann sie die Stichwahl mit 62,2 Prozent der Stimmen. Evelyn Matthei, die Kandidatin der rechten Allianz für Chile, schaffte mit 37,8 Prozent der Stimmen lediglich einen Achtungserfolg. „Sie hat gewonnen, es ist eindeutig,“ fügte sich Matthei in die Niederlage.

War Michelle Bachelet 2006 die erste Frau, die in Chile die Präsidentschaftswahl gewann, so ist sie nun auch die erste der ExpräsidentInnen, die seit dem Ende der Pinochet-Diktatur 1990 zum zweiten Mal in den Präsidentenpalast La Moneda einzieht. Diesmal als die gewählte Kandidatin des Mitte-links-Bündnisses Nueva Mayoria, dem neben Christdemokraten, Sozialdemokraten und Sozialisten zum ersten Mal auch die Kommunisten angehören.

Zweitwichtigste Nachricht des Wahlsonntags ist die geringe Wahlbeteiligung von gerade mal 42 Prozent der rund 13,3 Millionen Wahlberechtigten. Die überwältigende Mehrheit blieb den Urnen fern. Es gehe nun auch darum, das Vertrauen „nicht in mich, sondern in die Demokratie zurückzugewinnen“, erklärte die zukünftige Präsidentin am Wahlabend.

Mit ihrer ersten Rede trug sie jedoch nicht dazu bei. Im Wahlkampf hatte sie eine Verfassungs-, Steuer- und Bildungsreformen versprochen. Am Wahlabend machte sie sich bereits die Hintertür auf. Solche Reformen „sind Aufgaben, die eine Amtszeit überschreiten“, sagte sie. In Chile gelten noch immer die Verfassung sowie die Bildungsgesetze aus der Zeit der Pinochet-Diktatur. Private Unternehmen zahlen fast keine Steuern.

Michelle Bachelet hatte in ihrer ersten Amtszeit von 2006 bis 2010 keinen wirklichen Reformwillen gezeigt. Erst allmählich gelang es ihr, sich als Führungsperson innerhalb der sie tragenden Parteienallianz zu behaupten und in der Bevölkerung Anerkennung zu gewinnen.

Ihr Prunkstück war ein Maßnahmenpaket, um Chile vor den Auswirkungen internationaler Krisen zu schützen. Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 überstand der Andenstaat deshalb auch gut. Das Ende ihrer ersten Amtszeit war überschattet von den Folgen eines Erdbebens und dem davon ausgelösten Tsunami, die vor allem die Bevölkerung der südlichen Bío-Bío-Region traf. Für ihre zögerliche Katastrophenpolitik wurde Bachelet heftig kritisiert. Dennoch übergab sie im März 2010 mit einem Sympathiewert von 80 Prozent das Amt an den konservativen Nachfolger Sebastián Piñera.

Bachelet kann im neuen Kongress auf eine eigene Mehrheit bauen. Im Senat hat ihr Mitte-links-Bündnis Nueva Mayoria 21 der 38 Sitze, die rechte Allianz für Chile 16. Im Abgeordnetenhaus stellt die Nueva Mayoria 67 der 120 Abgeordneten. Für eine Verfassungsreform wird allerdings in beiden Kammern eine Zweidrittelmehrheit benötigt – die hat Bachelet nicht.

Bachelet verdankt ihren Wahlerfolg auch dem desolaten Zustand der chilenischen Rechten. Die pinochettreue Unión Demócrata Independiente (UDI) erlebte mit ihrer Kandidatin Matthei möglicherweise ihr letztes Aufbäumen. Nicht wenige rechnen damit, dass die Allianz zwischen der UDI und der etwas weniger extremen Renovación Nacional (RN) zerbricht. Dann könnte sich die Parteienlandschaft auf der rechten Seite nicht nur neu formieren, sondern sich auch Teile davon an den notwendigen Reformvorhaben beteiligen. Ohne die Hilfe der rechten Opposition wird Michelle Bachelet auch in ihrer zweiten Amtszeit keine grundlegenden Reformen umsetzen können.

Das Wirtschaftswachstum pendelte in den vergangenen Jahren zwischen 4 und 6 Prozent jährlich. Die Achillesferse ist jedoch die Abhängigkeit von den internationalen Rohstoffpreisen, allen voran vom Kupferpreis. Produzierte Chile 1990 gut 1,5 Millionen Tonnen Kupfer pro Jahr, so lag die Produktion im Jahr 2012 nach staatlichen Angaben bei 5,4 Millionen Tonnen. 89 Prozent der Exporterlöse stammen aus dem Verkauf von Rohstoffen. Die Hälfte davon fahren Erze und Metalle ein.

Offiziell ist der Anteil der Armen in der Bevölkerung von rund 39 Prozent im Jahr 1990 auf knapp 15 Prozent im Jahr 2012 gesunken, die Arbeitslosenquote lag bei 6,4 Prozent.

Trotzdem hat sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet. Chile liegt hinter Brasilien an zweiter Stelle der Ungleichverteilung des Einkommens in Südamerika. Bemisst man Chile mit dem Gini-Koeffizienten, der alle Ungleichheitsfaktoren misst, liegt Chile zwischen Nicaragua und Papua-Neuguinea. Durchlässig ist die scharfe Grenze zwischen Arm und Reich allenfalls nach unten.

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