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Archiv-Artikel

Wende made by SPD

KOALITION Mit dem Umweltministerium und dem Wirtschafts- und Energieministerium haben sich die Sozialdemokraten die Hoheit über die Energiewende gesichert. Das bedeutet: Kohle bleibt weiter wichtig

Den größten Einfluss dürfte aber weder Berlin noch NRW auf die deutsche Energiepolitik ausüben – sondern Brüssel

VON BERNHARD PÖTTER UND INGO ARZT

BERLIN taz | Sonntagnachmittag, kurz nach 13 Uhr im Willy-Brandt-Haus. Es spricht Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zur Energiewende. Das klingt so: „Eine große Aufgabe, die gelingen muss“, aber „bezahlbar und sicher“ sein müsse. Außerdem wichtig: „industrielle Basis erhalten“, „Industriestandort gewährleisten“, „Chance für zusätzliche Arbeitsplätze“, „starkes Industrieland“. Klima und Umwelt erwähnt Gabriel auch – am Rande.

Es war noch keine Regierungserklärung, aber ein Fingerzeig: Der Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel will die Energiewende zentral in seinem Ministerium planen und durchsetzen – und zwar auf SPD-Art. „Das ist sein Projekt mit sehr weitgehenden Kompetenzen“, sagt ein Insider aus dem Umweltministerium. „Das wird ihn definieren, und er wird Realpolitik machen.“ Also ist kein schnelles Ende der Kohle und sind keine Träume von einem dezentralen solaren Deutschland in Sicht. Aber Gabriel brauche auch „keine Lektionen beim Klimaschutz.“

Die Energieexpertin Claudia Kemfert, die schon in einem CDU- und einem SPD-Schattenkabinett als Landesministerin gehandelt wurde, schreibt der SPD zwar deutlich mehr Kompetenz in Energiefragen als der FDP zu, mahnt aber auch: „Kohle passt nicht in eine nachhaltige Energiepolitik. Da wird es noch viele Konflikte geben, auch innerhalb der SPD.“ Gabriel müsse eine Linie finden zwischen der Abhängigkeit von der Kohle in den SPD-Hochburgen NRW und Brandenburg einerseits – und dem Druck, mehr Erneuerbare und weniger Emissionen zu produzieren, andererseits.

Der Koalitionsvertrag ist da keine große Hilfe. Er erklärt die Kohle als „auf absehbare Zeit“ unverzichtbar und presst den Ausbau von Wind und Sonne in einen Ausbaukorridor – mindestens 45 Prozent bis 2025. Ansonsten bleibt er vage: Am Emissionshandel wird nur kurzzeitig herumgedoktert, statt eines verpflichtenden Klimagesetzes kommt eine unverbindliche Regelung. Die Ziele beim Energiesparen bleiben schwammig, zusätzliches Geld zur Förderung der Wärmedämmung von Gebäuden flog kurz vor Schluss noch aus dem Koalitionsvertrag. Da hatten die Parteichefs bereits das Thema an sich gezogen. Das deutsche Klimaziel von minus 40 Prozent bis 2020 ist so kaum zu halten – aber für Klimaziele ist nicht Gabriel, sondern die neue SPD-Umweltministerin Barbara Hendricks zuständig. Insgesamt lässt der Koalitionsvertrag Gabriel großen Spielraum – und setzt ihn unter Zeitdruck: Eine erste große Reform zur Förderung erneuerbarer Energien soll bereits im ersten Halbjahr 2014 verabschiedet werden.

Wie die Energiepolitik aussehen könnte, hat Gabriels neuer beamteter Staatssekretär, Rainer Baake, schon einmal vorgedacht: Der Grüne wechselt direkt von der Denkfabrik „Agora Energiewende“ ins Ministerium. Im April 2012 gegründet, hat Baake dem von der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation finanzierten Institut binnen eines Jahres Gehör in Berlin geschafft – und könnte die Konzepte nun ins Ministerium mitnehmen. Einiges von den Ideen eines „EEG 2.0“ sind mit dem Koalitionsvertrag kompatibel.

So sollen viele Boni für Wind- und Solaranlagen gestrichen und neue Anlagen vom Staat ausgeschrieben werden. Baake gilt als Anhänger des Kurses, erneuerbare Energien stärker den Risiken schwankender Strompreise auszusetzen. Auch der Ausbaukorridor, der auf zentrale Steuerung der Energiewende in Gabriels Ressort hinausläuft, dürfte in seinem Sinne sein.

Wahrscheinlich den größten Einfluss wird aber weder Berlin noch NRW auf die deutsche Energiepolitik ausüben – sondern Brüssel. Dort brauen sich dunkle Wolken zusammen. EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia will am Mittwoch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eröffnen, weil die Ausnahmen von der EEG-Umlage für die Industrie nach seiner Meinung unerlaubte Beihilfen darstellen. Sollte er sich damit durchsetzen und eine Rückzahlung dieser Rabatte fordern, kämen auf die deutsche Industrie Zahlungen in Milliardenhöhe zu. Industrie und Bergbau-Gewerkschaft IGBCE haben deshalb bereits vor „Öko-Fundamentalismus“ gewarnt. Eine der ersten Aufgaben Gabriels wird sein, auszuloten, wie die dringende Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes in Deutschland so gelingt, dass es künftig keinen Ärger mehr mit der EU-Kommission gibt.

Noch bedrohlicher für die Ökostromer aber ist Almunias Idee, europaweit die Förderung für Grünstrom festzuschreiben. Bisher regelt dies jedes Land selbst. Sollte Almunia erfolgreich sein, geriete der EU-Energiemarkt auf ein völlig neues Gleis.