: Das Leiden der Völker
MINDERHEITEN Die ethnischen Volksgruppen hoffen auf mehr Rechte, doch neue Landgesetze erleichtern sogar den Landraub
RAGU NE MYINT, AKTIVIST
VON AUNG THURA KO KO UND HSU MON AUNG
Die von den Militärs gestützte Zivilregierung hat seit ihrem Amtsantritt im März 2011 Waffenstillstände mit einem Dutzend ethnischer bewaffneter Gruppen geschlossen. Außen vor blieb aber bisher die Unabhängigkeitsarmee der Kachin (KIA). Die Regierung erzielte bei Treffen mit KIA-Führern zwar einige Fortschritte, ein Waffenstillstand gelang aber noch nicht. Deshalb gibt es im Norden des Landes noch immer Kämpfe. Die anderen Abkommen lassen dagegen hoffen, dass Myanmar nach Jahrzehnten ethnischer Konflikte endlich zur Ruhe kommen kann.
Die Bürger in den ethnischen Gebieten sind nicht nur von Kugeln und Granaten bedroht, sondern auch durch Zwangsarbeit. Angehörige der Minderheiten müssen in sogenannten „Modelldörfern“, umgesiedelten Orten oder in Infrastrukturprojekten der Regierung arbeiten – obwohl Myanmar die Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der UNO gegen Zwangsarbeit unterzeichnet hat.
Der Besitz von Land ist politisch und wirtschaftlich heikel. Myanmars Bevölkerungsmehrheit lebt von der Landwirtschaft, die 43 Prozent der Wirtschaft ausmacht. Äcker und Felder gehören dem Staat, Bauern haben nur das Recht, sie zu bearbeiten. Das Land kann ihnen jederzeit genommen werden, wie es oft in den letzten Jahrzehnten geschah. Die Medien nennen das schlicht „Landraub“. Fast täglich protestieren Opfer dagegen.
Im März 2012 wurden zwei neue Landgesetze verabschiedet, die eigentlich die Rechte der Bauern schützen sollten. In Wahrheit aber bieten sie kaum Schutz, sondern erleichtern sogar noch den Landraub, wie Aktivisten behaupten. Nach Ansicht von Fachleuten befassen sich die Gesetze nicht mit dem sogenannten Wanderfeldbau, den viele Minderheiten in den Grenzregionen praktizieren. Die Gesetze erlauben der Regierung, solche Ländereien als „nicht bewohnt“ zu betrachten und es Unternehmen für große Infrastrukturprojekte zu überschreiben.
Ein Bericht der Menschenrechtsgruppe des Karen-Volkes zeichnete jüngst ein ähnliches Bild: Das Tempo des ausbeuterischen Landraubs durch lokale und ausländische Kräfte hat nach dem Waffenstillstand im Januar 2012 zugenommen. Er hatte mehr als sechs Jahrzehnte Krieg zwischen der Regierung und der Karen-Nationalunion (KNU) beendet.
Myanmars Parlament erwägt, die Rechte der ethnischen Minderheiten durch Verfassungsänderungen besser zu schützen. Ein föderales System sei im Gespräch, berichten Abgeordnete. Bundesstaaten und Bezirke sollen mehr Rechte erhalten, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln. Minderheiten machen 40 Prozent der rund 60 Millionen Bürger Myanmars aus. Die Änderungsvorschläge würden die Rechte der ethnischen Minderheiten stärker schützen, versichern Abgeordnete. Dazu gehört, die eigene Religion zu praktizieren, traditionelle Zeremonien zu feiern und ethnische Literatur und Sprachen zu lehren.
Andere Vorschläge würden den Minderheiten gleiche Rechte zur Gesundheitsversorgung und Arbeit sichern. Weitere Entwürfe sehen vor, statt den früheren birmesischen Generälen Angehörigen von Minderheiten das Recht zu geben, die Regierung in den Bundesstaaten zu bilden.
Zwei Möglichkeiten werden diskutiert, um ein föderales System einzuführen: 1. Eine vollständig neue Verfassung zu schreiben oder 2. die derzeitige Verfassung zu ändern. Zahlreiche Abgeordnete glauben, dass die zweite Variante die einfachere ist. Auf jeden Fall müssen die Rechte der Minderheiten besser geschützt werden, sagt Shwe Mann, einst hochrangiges Mitglied des früheren Regimes, der nächster Präsident des Landes werden will.
Myanmars Regierung erkennt acht größere ethnische Minderheiten und viele Untergruppen an, insgesamt 135. Das frühere Regime lehnte föderale Tendenzen immer ab, weil dies angeblich Sezessionismus ermutige. Myanmars Parlament hat inzwischen ein 109-köpfiges Komitee, das Verfassungsänderungen für den größeren Schutz von Minderheiten ausarbeiten soll sowie neue Paragrafen, die es Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi erlauben könnten, fürs Präsidentenamt zu kandidieren. Bislang sind Kandidaten verboten, die mit Ausländern verheiratet sind oder waren.
Das Komitee dominiert allerdings die Regierungspartei: 50 Mitglieder der Union Solidaritäts- und Entwicklungspartei (USDP) und 25 Vertretern des Militärs. Hinzu kommen sieben Mitglieder von Suu Kyis Nationaler Liga für Demokratie (NLD) und fünf von ethnischen Parteien. Jede Verfassungsänderung erfordert die Zustimmung von 75 Prozent des Parlaments. Für die Opposition ist das eine Herausforderung, denn die USDP und das Militär kontrollieren bislang über 80 Prozent der Sitze.
„Die Rolle der Minderheiten kann nur mit einer Änderung oder Erneuerung der Verfassung gestärkt werden“, sagt der Aktivist Ragu Ne Myint. „Wir brauchen eine Verfassung, die ein föderales System vorsieht.“
Derweil bereiten sich schon zahlreiche Parteien der ethnischen Minderheiten auf die Wahlen 2015 vor. Dazu gehören Gruppen der Shan, der Mon, der Zomi und der Kachin. Sie haben verstanden, dass sie die Sache ihrer Völker nur dann vertreten können, wenn sie an den Wahlen teilnehmen. Diese hatten 2010 noch zahlreiche Gruppen boykottiert.
Aber bloße Teilnahme reicht nicht aus, wie U Tayzardipate, ein Mönch und Aktivist, sagt: „Jede Partei hat Konkurrenz, denn in der mächtigen USDP und in der NLD sitzen auch Vertreter der Minderheiten. Deshalb müssen die eigenen ethnischen Parteien in ihren Wahlkreisen noch stärker werden.“
Nach Meinung von Beobachtern haben einige Abgeordnete ethnischer Minderheiten die Lage noch nicht begriffen: Sie sind überwiegend passiv, schlagen kaum Gesetze vor, stellen keine Fragen und repräsentieren noch nicht mal ihr eigenes Volk im Parlament.