: „Die Deutschen stehen nicht so wirklich auf Soul“
KLISCHEES Der Kölner Reggae-Sänger Patrice kommt in Frankreich mittlerweile besser an als in seiner Heimat. Ein Gespräch über den deutschen Musikgeschmack und seine Verbindung zu Sierra Leone, dem Land, aus dem sein Vater stammt
■ 1979 in Kerpen bei Köln als Sohn einer deutschen Mutter und des Schriftstellers Gaston Bart-Williams aus Sierra Leone geboren.Früh mischte er in der Kölner HipHop-Szene und beim afrodeutschen All-Stars-Projekt Brothers Keepers mit. Heute pendelt er zwischen Paris, Köln und Sierra Leone. Mit der deutsch-nigerianischen Soulsängerin Ayo hat er zwei Kinder. Im Herbst erschien sein sechstes Studioalbum, „The Rising of The Son“. Derzeit ist er in Deutschland auf Tournee.
INTERVIEW DANIEL BAX
taz: Patrice, in Frankreich sind Sie mittlerweile erfolgreicher als in Ihrer Heimat. Woran liegt das?
Patrice: In Frankreich gibt es vielleicht mehr Anknüpfungspunkte: Die Franzosen sind aufgrund ihrer Kolonialgeschichte mit verschiedenen Musikstilen vertraut und deshalb offener für Künstler, die nicht so eindeutig in eine Genreschublade passen. Gerade was Black Music angeht, ist Deutschland immer noch geteilt. Ost- und Westdeutschland ticken ganz anders. Wäre ganz Deutschland so offen wie Köln, Hamburg und Berlin, dann wäre ich hier sehr erfolgreich. Aber das ist leider nicht so.
Ihr alter Freund Ade Odukoya von der Band Bantu und die Sängerin Nneka sind aus Deutschland nach Nigeria ausgewandert und gelten dort als Stars. Verfolgen Sie deren Karrieren?So am Rande. Ich habe Ade viel zu verdanken: Er hat mich auf die ersten Bühnen gestellt und mich mit dem Produzenten meines ersten Albums bekannt gemacht. Ade hat das sehr clever angestellt. Aber in Deutschland hat er sich mit seiner Band nicht durchsetzen können. Warum? Eine Weile sah es so aus, als entwickelte sich in Deutschland eine Szene: Es gab die Brothers Keepers, Seeed, Gentleman und Joy Denalane. Man dachte, da wächst jetzt etwas. Aber dann haben sich diese Hoffnungen nicht erfüllt. Das, was Ade macht, passt vermutlich besser zu Nigeria. Haben Sie noch Kontakt zu anderen afrodeutschen Kollegen in Deutschland? Joy Denalane kenne ich schon lange, mit Y’akoto werde ich jetzt arbeiten. Aber es ist schon so, dass man in Deutschland nicht wirklich auf Soul steht. Joy Denalane hatte zwar einen Riesenerfolg mit ihrer ersten Platte. Aber es muss schon immer etwas Urdeutsches dabei sein, damit es bei einem breiten Publikum ankommt, so wie bei Xavier Naidoo. Oder wie Seeed: Die machen zwar Reggae und Dancehall, aber arbeiten viel mit Marschrhythmen. Sind Sie mit der deutschen Musikszene zufrieden? Vieles von dem aktuellen deutschsprachigen Singer-Songwriter-Pop, bei dem die Emotion extrem vermarktet wird, finde ich ganz schrecklich. Das wirkt so aufgesetzt. Alles kommt aus einer Schmiede. Ich will niemandem zu nahe treten. Aber ich fände es ganz gut, wenn englischsprachige Musik, die sich auch international sehen lassen kann, mehr Aufmerksamkeit bekäme.
Sie sind oft in Sierra Leone, dem Geburtsland Ihres Vaters. Was treibt Sie dorthin?Ich hatte schon immer eine sehr große Sehnsucht, diesen Teil meiner Familie kennen zu lernen und das Land zu verstehen. Mittlerweile bin ich ein bis zwei Monate im Jahr dort. Sie haben dort neulich einen Kurzfilm gedreht. Wollen Sie in die Fußstapfen Ihres Vaters Gaston Bart-Williams treten, der ein Regisseur war? Mein Vater hat an der Filmhochschule in Berlin studiert, ich bin Autodidakt. Aber ich schätze, dass er mich inspiriert hat. Wovon handelt der Film? In dem Film geht es um einen jungen Mann, der vor seinen Ängsten flieht. Die werden durch eine Gang personifiziert, die ihn jagt. Je mehr er davonläuft, desto schwächer wird er. Am Ende finden und stellen ihn die Jungs. Aber er erwacht wieder zum Leben und wächst, während er auf sie zugeht, über sich hinaus. Wir haben in einem der schlimmsten Slums von Freetown gedreht – mit einer Gang, die nennt sich The Lion Bay Cribs. Wie haben Sie Ihre Darsteller gefunden? Meine Schwester leitet in Sierra Leone ein Projekt und stellt Stoffe für namhafte Modelabels in den USA und Europa her. Bei ihr habe ich einige dieser Jungs kennengelernt. Klingt nach Entwicklungshilfe. Dem Konzept stehe ich eher kritisch gegenüber. Ich will lieber eine Brücke zwischen den Kontinenten, die einen fairen Austausch erlaubt: Kreativität gegen Geld. Die Jungs finanzieren sich damit ihre Ausbildung.
Welches Standing haben Sie in Sierra Leone?Ich habe dort mal eine Best-of-Kassette herausgebracht, die habe ich „The Prodigal Son“ genannt, der verlorene Sohn. In Sierra Leone laufen meine Songs schon oft im Radio und man zeigt Konzerte von mir im Fernsehen. Ich habe sogar mal einen Award bekommen für „besondere Leistungen“. Ich glaube, die Landsleute meines Vaters sind sehr stolz, weil ich einer der wenigen mit Verbindungen zu dem Land bin, die sich international einen Namen gemacht haben. Sierra Leone spielt in der Geschichte des Sklavenhandels eine Schlüsselrolle. Wie Liberia wurde es von befreiten Sklaven aus England, den USA und Jamaika gegründet. Was verbinden Sie mit dieser Geschichte? Sierra Leone ist ein sehr besonderes Land: sehr gemischt, sehr karibisch. Die Hauptstadt Freetown wurde größtenteils von befreiten Maroons-Sklaven aus Jamaika aufgebaut. Eine der ersten Kirchen dort war die St.-Johns-Maroon-Church. Deren Decke wurde aus den Planken des Schiffs errichtet, auf dem die Sklaven gekommen waren. Reggae besitzt in Sierra Leone einen hohen Stellenwert, es gibt einen offiziellen Bob-Marley-Day, eine 12-Tribes-Rastafari-Gemeinde wie auf Jamaika, und die Sprache ist auch sehr nah am Patois. Ihr Vater kam 1990 bei einem Bootsunglück vor der Küste von Sierra Leone ums Leben, da waren Sie 11 Jahre alt. Welche Erinnerungen haben Sie an ihn? Er war sehr gelehrt, kultiviert, studiert und auch sehr streng. Ich war als Kind das absolute Gegenteil: wild, sportlich. Er hat mich auf Ausstellungen mitgenommen und mich mit Kunst, Büchern und unterschiedlichen Sichtweisen vertraut gemacht. Das hat mich sicher geprägt. Ihr neues Album heißt „Rising of the Son“ – ein Wortspiel, das nach Emanzipation klingt. Wollten Sie aus dem Schatten Ihres Vaters treten? Dahinter steht auf eine Art die Idee der Wiedergeburt – mit den Erfahrungen der Vergangenheit zwar, aber auch mit der Unschuld eines Neugeborenen. Das ist eine Traumvorstellung von mir, die auch ein bisschen mit meiner eigenen Geschichte zu tun hat. Ich bin nämlich an dem Tag geboren, an dem mein Großvater starb. Für meinen Vater war das ein Symbol für den Kreislauf des Lebens, dafür, dass das Leben immer weitergeht. Apropos Wandel: Muss sich auch an der Wahrnehmung von Afrika in Europa etwas verändern? Afrika ist eine Marke. Schreib es auf eine Dose, und alle werfen Geld rein. Jeder hat sofort diese Bilder im Kopf von Krieg, Hunger und den Kindern mit den dicken Bäuchen. Aber das ist nicht hilfreich. Veränderung beginnt mit einer Vision, die man von sich selbst hat. Durch das Bild, das andere von einem haben, wird diese Vision verstärkt. Ich versuche nicht Klischees, die Menschen in Europa von Afrika haben, zu korrigieren, sondern nur andere Aspekte aufzuzeigen. Dann kann sich jeder sein eigenes Bild machen.