: Vorbild Deutschland
Die Schweiz will mit einem neuen Gesetz potenzielle Hooligans zentral erfassen und schneller bestrafen können. Gegen das Vorhaben regt sich Bürgerprotest. Ein Referendum soll entscheiden
VON HOLGER PAULER
Der Schweizer Fußballfan leidet derzeit doppelt. Während die „Nati“ bei der WM in Deutschland um das Achtelfinale kämpft, sammeln die daheim gebliebenen Anhänger massenhaft Unterschriften. Bis zum 13. Juli haben die aktiven Fans und deren Unterstützer Zeit, 50.000 Namen für ein Referendum zusammenzubekommen. Ziel ist, die Verschärfung des „Bundesgesetzes zur Wahrung der inneren Sicherheit“, besser bekannt als „Hooligan-Gesetz“, zu stoppen. Potenzielle „Störer“ von Fußballspielen sollen demnächst zentral erfasst und schneller bestraft werden.
Dass derzeit viele Schweizer bei der WM weilen, sei kein Problem, sagt Ruben Schönenberger, Sprecher des Referendumskomitees. Die Aufmerksamkeit steige durch die WM, „und an den Großbildleinwänden ist das Sammeln der Unterschriften leichter als in Fußgängerzonen“. Im Komitee sind Fans aller Schweizer Erstligisten, Vertreter der Grünen, Jungsozialisten, Bürgerrechtler und sogar Eishockeyfans vertreten.
Zu den Unterschriften wollte Schönenberger nichts sagen. Schätzungen gehen von einer eher niedrigen fünfstelligen Zahl aus. Das Sicherheitsbedürfnis der Bürger scheint Vorrang zu haben. Die Initiatoren kamen zusätzlich in Bedrängnis, nachdem es bei der Meisterfeier des FC Basel zu Ausschreitungen gekommen war. „Die Befürworter des Gesetzes fühlten sich in ihrer Forderung bestätigt“, sagt Schönenberger.
400 „Hooligans“ sind in der Schweiz amtlich registriert und mit Stadionverboten belegt. Doch die Schweizer Volkspartei um den Rechtspopulisten Christoph Blocher fordert „schnellere Sanktionen gegen Störer“. Der Entwurf zur Gesetzesänderung sieht für die Fans Folgendes vor: Aufnahme in die Hooligandatenbank (Hoogan), Stadionverbote, Ausreiseverbote oder Meldeauflagen bei Fußballspielen. Der von Polizei oder Ordnern beschuldigte Fan gilt so lange als schuldig, bis er seine Unschuld bewiesen hat.
Vorbild für den Schweizer Gesetzentwurf: die deutsche Datei „Gewalttäter Sport“. Diese wird seit 1994 beim nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt von der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) in Düsseldorf betreut. Für die Aufnahme in diese Datei ist kein Ermittlungsverfahren oder keine Verurteilung nötig, es reicht die Feststellung der Personalien am Rande eines Fußballspiels. Im Vorfeld der WM steigerte die ZIS die Zahl der Registrierten von 4.000 auf mehr als 7.000. Die Eidgenossen haben zur Fußball-Europameisterschaft 2008, die in der Schweiz und in Österreich stattfinden wird, ähnliche Pläne. Zur EM rechnet das Referendumskomitee mit mehreren tausend Stadionverboten. Jugendliche ab 12 Jahren gelten demnächst als potenzielle Gewalttäter, 15-Jährige können in Gewahrsam genommen werden.
„Das Gesetz verstößt gegen die Verfassung“, sagt die Züricher Rechtsanwältin Manuela Schiller. Sie vertrat 220 Baseler Fans, die vor einem Jahr bei einem Fanzug des FC Basel im Züricher Vorort Altstetten eingekesselt wurden. Insgesamt 430 Baseler Fans wurden bereits vor dem damaligen Spiel beim FC Zürich festgenommen. „Die Verfahren wurden erst nach einem Jahr eingestellt und die Stadionverbote aufgehoben“, sagt Schiller.
Auch Datenschützer sind skeptisch. Der Präsident der schweizerischen Datenschutzbeauftragten, Bruno Baeriswyl, kritisiert den ungeschützten Datenverkehr: Private dürften „nur ausnahmsweise eine staatliche Datenbank mit Daten füttern“, sagte er am Montag der Neuen Züricher Zeitung. „Klare Kriterien, an die sich die Sportvereine bei der Weitergabe von Daten halten müssen“, fehlten. Anfang diesen Jahres hatte der schweizerische Fußballverband zudem die Namen von 400 Personen, die derzeit in der Schweiz mit einem Stadionverbot belegt sind, an die Organisatoren der Fußball-WM und den Deutschen Fußball-Bund weitergegeben, ohne den Datenschutzbeauftragten zu informieren.