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Archiv-Artikel

Der Oberarzt und seine Patienten

WUNDERHEILUNG DFB-Trainer Joachim Löw hat alles richtig gemacht: Sogar Klose und Podolski lassen gegen Australien eine frustrierende Saison hinter sich und belegen die revitalisierende Wirkung der Nationalmannschaft

Stilkritik

■ Wo ist das Hemd hin? Bei der EM 2006 trug Löw noch dieses heiße Teil – weiß, tailliert, Elasthananteil, 160 Euro. Und diesmal? Jogi im dunklen Kaschmir, noch ein paar Euro teurer. Okay, es ist so was wie Winter in Südafrika, dafür hat er ja den Anzug. Die Ausstatterfirma Strenesse setzt wieder Maßstäbe: V-Ausschnitt-Optik in Lavendel, schwarzer Anzug mit schwarz-rot-güldenem Sternenreigen auf der Brust. 2006 kam Strenesse nicht mehr mit der Hemdenproduktion hinterher, so viele wollten aussehen wie der Jogi. Was Südafrika 2010 für die Kaschmirziegen dieser Welt bedeutet, möchte man sich nicht ausmalen. (am)

AUS ERASMIA MARKUS VÖLKER

Wenn in den vergangenen Tagen über Miroslav Klose gesprochen wurde, dann wie über einen Patienten, der an einer hartnäckigen Krankheit leidet. Wie verläuft die Fieberkurve? Wann ist mit seiner Genesung zu rechnen? Das waren Fragen, die nicht nur den Trainerstab um Joachim Löw beschäftigten, sondern auch eine Nation von Fußballfans. Man zweifelte, ob das Experiment mit Klose als einzige Spitze im deutschen Sturm klappt. „Er müsste die Handbremse lösen“, hatte Löw vorm formidablen 4:0-Auftaktsieg der deutschen Mannschaft gegen Australien gesagt, „psychologisch ist er im Aufwind.“ Ja, doch, der Miro fühle sich körperlich viel besser, führte Oberarzt Löw weiter aus. „Er ist schon wieder sehr beweglich, ich bin sicher, dass er seine körperliche Frische findet.“

Die Intensivkur auf der Station für kränkelnde Stürmer hat angeschlagen. Klose schoss nicht nur ein Kopfballtor im Spiel am Sonntagabend in Durban, nein, er tauchte wiederholt gefährlich vorm Kasten von Mark Schwarzer auf. Klar, Klose hätte mindestens noch ein weiteres Tor schießen müssen. Doch heute spricht keiner mehr über vergebene Chancen, im Mittelpunkt steht Kloses Comeback, seine Auferstehung als Angreifer. Überschwänglich wurde sein Treffer gefeiert. Vereinskollege Philipp Lahm umarmte ihn eine halbe Ewigkeit. So werden normalerweise nur Verwandte geherzt, die man monatelang nicht gesehen hat. Aber war es nicht auch so, dass der Stürmer Klose, einst der Schrecken der Viererkette, nicht zu sehen, gänzlich von der Bildfläche verschwunden war?

„Es war ein schönes Gefühl, ihn im Arm zu haben“, sagte Klose am Montagnachmittag im Quartier in Erasmia. Nie habe er gezweifelt, für diesen „Fixpunkt“, das Australien-Spiel, fit zu werden. „Das ist eine große Stärke von mir.“ Der 32-Jährige hat eine furchtbare Saison hinter sich. Sie kam fast schon einer Demütigung gleich. Bis zum 13. Spieltag sah es noch ganz gut aus. Der in Opole in Polen geborene Stürmer stand bis dahin in der Startelf des FC Bayern München, doch dann kam der Einbruch. Trainer Luis van Gaal setzte fortan auf den jüngeren Thomas Müller und den kampfstarken Ivica Olic. Klose schmorte auf der Bank. In der vergangenen Saison hat er gerade viermal in der Bundesliga durchgespielt, 12-mal wurde er eingewechselt, nur drei Tore hat er geschossen.

Für einen Nationalstürmer wie ihn war es eine Saison des Grauens. Sie hat ihm peu à peu die Kraft aus den Gliedern gesogen. Mit jedem neuen Spiel, das er von draußen verfolgen musste, verlor er mehr Selbstvertrauen. Der Meistertitel, der Gewinn des DFB-Pokals und das Champions-League-Finale konnten ihn kaum trösten. Erst als die WM-Vorbereitung mit der Nationalmannschaft auf Sizilien und in Eppan/Südtirol begann, ging’s aufwärts. Das Klima im Team, vor allem die Gewissheit, in dieser Mannschaft gebraucht zu werden, wirkten wie eine Infusion für einen Dehydrierten. „Dieses Gefühl brauchte ich“, sagt Klose. Löw leistete mentale Aufbauhilfe, die Assistenzcoaches peppten seine Fitness auf. Ein ausgeklügeltes Therapieprogramm für den designierten Nummer-eins-Stürmer lief an. Löw darf sich nun zugutehalten, alles richtig gemacht und die Skeptiker wieder einmal in die Schranken gewiesen zu haben. Er wusste ohnehin, dass auf Klose bei einer WM Verlass ist. Elf WM-Tore hat er geschossen. Noch drei und er hat Gerd Müller eingeholt. „Ich war immer von seinen Qualitäten überzeugt“, sagt Löw.

Es ist nicht neu, dass das Nationalteam revitalisierend wirkt für so manchen formschwachen Bundesligakicker. Auch Lukas Podolski hat wieder einmal vom Wohlfühlklima in der Auswahl profitiert. „Ich will da ansetzen, wo ich die letzten Turniere aufgehört habe“, sagt er. „In Köln haben wir eine defensive Ausrichtung, das liegt mir nicht so. Aber im Nationalteam spielen wir offensiv, das ist gut für mich.“ Und wie: Gegen Australien war Podolski einer der besten Spieler. Seine Pässe in die Spitze hatten ein exquisites Timing. Das erste Tor schoss Podolski mit einem wuchtigen Spannstoß gleich selbst. „Ich fühl mich hier im Nationalteam einfach wohl“, sagt Podolski und schiebt gleich noch eine kleine Regierungserklärung in eigener Sache nach: „Es freut mich, dass ich der Mannschaft helfen konnte und meine Aktionen durchführen konnte.“ Auf die Durchführung weiterer Aktionen der Offensivkräfte Podolski und Klose darf man gespannt sein. Am Freitag wäre ein guter Zeitpunkt. Dann steht das Spiel gegen Serbien an.