: Aus Lust am Spielen
DFB Nach dem hinreißenden 4:0 gegen Australien fragt sich die Welt: Kann das wirklich das Werk einer deutschen Mannschaft sein?
■ Befreien wir uns von der Euphorie des Moments und wenden uns der historischen Analyse zu. Sechs große Titel hat die (bundes)deutsche Nationalmannschaft errungen, vor jedem gewonnenen Finale stand dabei ein gewonnenes erstes Spiel. Andererseits folgte nicht jedem Sieg zu Beginn ein glorreiches Turnier. Wir sehen: Eine notwendige Bedingung für den WM-Titel ist seit Sonntagabend erfüllt, eine hinreichende mitnichten. Ist das aber alles? Nein. Abseits der Arithmetik betrachten wir die Qualität der Auftaktsiege und sehen: Nicht jedem Anfangserfolg wohnt ein Zauber inne, dem gegen Australien aber gewiss. Die Ouvertüre als Offenbarung, besser gar als das furiose 4:1, mit dem die Weltmeister von 1990 ihren Lauf begannen. Gar nicht auszudenken, wenn nun noch eine andere eherne Regel zum Tragen käme: die von den Qualitäten deutscher Teams als Turniermannschaft. Wohin das noch führen soll? 1958 starteten die Brasilianer (samt Pelé), das spielerisch womöglich spektakulärste Nationalteam aller Zeiten, mit einem 3:0 gegen Österreich ins WM-Turnier. (WEH)
AUS DURBAN ANDREAS RÜTTENAUER
Wie soll das nur weitergehen? Mit einer grandiosen Show ist die deutsche Fußballnationalmannschaft in die WM gestartet, ja, Glanz hat sie verbreitet an diesem milden Sonntagabend in Durban. Pim Verbeek, der Trainer der australischen Nationalmannschaft, die regelrecht spielerisch verwelkte, staunte über den Auftritt der Deutschen. Und er tat der versammelten deutschen Fußballpresse den Gefallen und ernannte die DFB-Elf zu einem der großen Favoriten auf den Titel. „Wir wussten, wie sie spielen würden, und haben es dennoch nicht geschafft, ein Mittel gegen sie zu finden.“ So seine bittere Erkenntnis nach dem Spiel. Den Deutschen wird’s wurscht sein. Sie können mit der Gewissheit, dass sie es echt drauf haben, ins nächste Gruppenspiel am Freitag gegen Serbien gehen.
Mit fast traumwandlerischer Sicherheit lief der Ball – ja, er scheint tatsächlich zum Freund der deutschen Kicker geworden zu sein –, und zwar durch alle Mannschaftsteile. Von der Ballsicherheit seines Teams war auch Bundestrainer Joachim Löw nach dem Spiel begeistert. Die hohen, weit nach vorn geschlagenen Bälle, wie es einst die DFB-Mannschaften gern taten, hat er noch nie leiden können. Ihnen fiel oft einfach nichts Besseres ein. Diese Zeiten scheinen passé. Mit Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger spielen mittlerweile zwei ausgemacht gute Fußballer vor der Abwehr, die nicht gleich erschrecken, wenn auch einmal zwei Gegenspieler auf sie zukommen. Die beiden sehen auch in Bedrängnis immer den nächsten anspielbereiten Kollegen. Dass man auch mal nach hinten abspielen kann, wenn sich vorne keiner freigelaufen hat, das ist Schweinsteiger unter seinem Vereinstrainer Louis van Gaal in Fleisch und Blut übergegangen. Und so sah das Spiel der Deutschen vor allem in der ersten halben Stunde ein wenig so aus wie das des FC Bayern in diesem Kalenderjahr.
Joachim Löws Stil ist das eigentlich nie gewesen. Und so möchte er das wohl auch in Zukunft nicht mehr sehen. Für ihn standen die zentralen Abwehrspieler zu weit hinten. Ja, er hatte tatsächlich etwas auszusetzen an diesem Galaabend der Deutschen. Wahrscheinlich hat er recht. Der wenig durchsetzungsfähige Angriff der Australier, der mangels Begabung beinahe jedem Zweikampf aus dem Weg ging, ist so des Öfteren nah ans deutsche Tor herangekommen. Spielstärkere Gegner sollten in der Tat ein wenig früher angegriffen werden. Als solche schätzt Joachim Löw die Serben auch nach deren bescheidenem Auftritt gegen Ghana immer noch ein. Die Serben könnten in dieser Hinsicht das genaue Gegenbild zu den Australiern abgeben und ganz bewusst immer wieder Eins-zu-eins-Situationen suchen.
In der Abwehr steht mit Holger Badstuber auf der linken Seite noch einer, den auch der Bundestrainer als Azubi sieht. Er müsse noch hineinfinden in seine Rolle. Angriffe, die über die linke Seite vorgetragen wurden, waren auch deshalb einen Seltenheit, weil sich Badstuber noch nicht getraut hat, sich nach vorne zu orientieren. Böse ist Löw deswegen nicht gewesen mit dem jungen Bayern. Und so wird es auch weiterhin die rechte Seite sein, von der aus mehr Druck zum gegnerischen Tor entwickelt werden wird. Philipp Lahm ist eben doch ein anderes Kaliber als sein Vereinskollege. Man dürfte noch öfter zu sehen bekommen, welch „herausragender Verteidiger“ (Löw nach dem Spiel) Lahm ist.
Von ihm, dem Kapitän, sowie von Khedira und Schweinsteiger wird das Angriffsfeuerwerk gezündet, das endlich so zu funktionieren scheint, wie Löw sich das schon lange vorstellt. Denn die drei sollen erkennen, wohin die Offensivkräfte laufen, und diese dann bedienen. Dass es dabei auf das Spiel ohne Ball ankommt, das sagt Löw schon seit langem. Die WM-Vorbereitung hat Löw damit begonnen, seinen Kickern dieses Spiel ohne Ball beizubringen. Dass dieses jetzt so gut geklappt hat, schrieb er sich nach der Partie wohl nicht ohne Stolz selbst zu. Auch einer wie Mesut Özil, der sich selbst eher als Ballverteiler sieht, muss regelmäßig in die freien Räume sprinten. Dass genau diese Sprints durch die Nahtstelle der Abwehrreihe Spezialität seines linken Nachbarn im Mittelfeld, Lukas Podolski, ist, auch das war im Spiel gegen Australien zu beobachten.
Auf der rechten Seite dann ist mit Thomas Müller einer in der Nationalmannschaft aufgetaucht, der auch schwierigste Situationen fast immer aufzulösen weiß. Platz verschafft er sich meist durch einfache Körpertäuschungen, was ihm ermöglicht, bis an die gegnerischen Torauslinie vorzudringen. Seine Pässe haben Spielmacherqualität, und wenn er in die Mitte rotiert, ist er obendrein torgefährlich.
Dennoch ist nicht sicher, dass Müller auch gegen Serbien von Anfang an spielen wird. Was die Offensivkräfte angeht, kann Löw aus dem Vollen schöpfen. Sollte es einmal eher darauf ankommen, über das Strafraumeck torgefährliche Situationen zu kreieren, dann stehen Marco Marin oder Pjotr Trochowski bereit, deren Stärke im Spiel mit dem Ball am Fuß gegen beweglichere Verteidiger gefragt sein könnte.
Und ganz vorne, da wo viele das Problem der Deutschen ausgemacht haben, da hat Miroslav Klose nicht nur Torgefahr bewiesen, sondern mit harter Arbeit den australischen Kapitän und Verteidigerhaudegen Lucas Neill regelrecht zermürbt. Als er ausgewechselt wurde, kam mit Cacau nicht nur ein gleichwertiger Ersatz, sondern auch ein ganz anderer Stürmertyp zum Zug, einer der gerne hinter dem Ball spielt. Löw hat für die Offensive jede Menge Varianten.
Auch das war etwas, was dem australischen Trainer Pim Verbeek Respekt abnötigte. „Kein Spieler, den sie gebracht haben, hat die Mannschaft auch nur irgendwie geschwächt – im Gegenteil.“ Wann hat man so etwas über eine deutsche Nationalmannschaft je gehört? Sie spielt. Nichts anderes als das: Sie spielt.
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