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Archiv-Artikel

Deutsche Ordnung, bitte

WM in den Niederlanden: Der Mythos vom relaxten Patriotismus hat sich erledigt. Je orangener, desto sozial schwieriger das Stadtviertel. Und Deutsche sind beliebt, zumindest beliebter als Muslime

VON MARTIN UNFRIED

Welch ein Farbenmeer! In einigen Quartieren Maastrichts sind die Häuser und Autos in orangene Tücher gehüllt, die Laternen mit orangenen Wimpeln verziert und jedes zweite Fahrzeug hat einen orangenen Löwenschwanz aus dem Kofferraum raushängen. Es ist die „oranje gekte“ ausgebrochen in meiner Stadt, die „Verrücktheit in Orange“. Nicht erst unmittelbar vor dem morgigen Spiel gegen die Elfenbeinküste. Das geht schon länger so.

Zur Erklärung: Ich bin Maastrichter, EU-Bürger, Schwabe und habe einen Pass der Bundesrepublik Deutschland. Selbstredend käme ich nie auf die Idee, eine schwarzrotgoldene Fahne aus dem Fenster rauszuhängen, obwohl ich nette Nachbarn habe. Ich bin nämlich total patriotisch verklemmt, mit meinem typisch deutschen Komplex und möchte mit meiner Fahne hier niemanden an die schlimmen Kriegsjahre erinnern!?

Das war jetzt Spaß.

In Wirklichkeit ist Fahnenraushängen in meiner Straße nicht angesagt. Bei uns wird nicht dekoriert. Hier hängt auch kein Oranje und kein Rotweißblau. Mein Nachbar meinte, am Orange erkenne man deutlich die sozial schwierigen Stadtviertel (achterstandswijken) in Maastricht. Verschärft übersetzt: er meint, je mehr Orange, desto asozialer die Leute.

Orange ist also in diesen Tagen auch eine soziologische Kategorie der niederländischen Gesellschaft. Längst wird in den Wochenendbeilagen (z. B. Volkskrant) über den übertriebenen Kult geklagt, über die Kommerzialisierung des nationalen Gefühls und die lächerliche nationale Aufladung. Vielleicht schön zu erfahren, dass das, was von weitem so heiter und fröhlich aussieht, auch hier so ein paar miesepetrige Intellektuelle zum Motzen herausfordert. In meiner Regionalzeitung (Dagblad de Limburger) wurde sogar schwer kritisiert, dass die Limburger – das sind die Eingeborenen hier – wegen „Oranje“ sogar die natürliche Distanz und Feinschaft gegenüber den Holländern aufgäben. Es ist in Deutschland ja relativ wenig bekannt, dass ein Limburger so wenig ein Holländer ist wie ein Schotte Engländer.

Der in Deutschland von interessierten Greisen gepflegte Mythos vom relaxten Patriotismus ist also auch hier schnell erledigt. Wie sehr jede Gesellschaft immer wieder um einen entspannten Patriotismus ringen muss, zeigt sich in den Niederlanden von heute. Entspannt ist hier gar nix mehr. Wir erleben Zeiten, in denen eine Parlamentarierin mit schwarzer Hautfarbe innerhalb weniger Tage von einer Ministerin ihres Passes beraubt und aus dem Land gejagt werden kann (weil sie öffentlich falsche Aussagen in einem Einbürgerungsverfahren zugegeben hatte). Das neue niederländische Motto heißt: „regels zijn regels“, was man auch mit „Ordnung muss sein“ ergänzen könnte, und viele meiner Mitbürger hier finden das gut.

Insofern haben sich nationale Werte verschoben. Da passt es schön dazu, dass plötzlich neue Umfragen ergeben haben, dass die deutschen Nachbarn in den Augen der Niederländer plötzlich viel sympathischer sind als noch vor 10 Jahren. Das hat mich gefreut, da ich ja einen deutschen Pass habe. Marokkaner und der Islam dagegen sind schockierend unbeliebt. Plötzlich spricht man vom Rassismus eines nicht unerheblichen Teils der Bevölkerung.

Wer hat sich hier welchem Image und auf welche Weise angenähert? So bringt also die WM mal wieder zwei Gesellschaften näher, die eigentlich wenig voneinander wissen und deshalb vor allem immer in Klischees über einander dachten und lachten.

Wohnwagen, hahaha!

Matthäus, hahaha!

Jetzt aber passt einiges überhaupt nicht mehr. Meine These: die Deutschen sind nicht mehr so ordentlich (Abwehrschwäche), wie die Niederländer denken, und die Niederländer längst nicht mehr so entspannt (kreativ), wie die orangenen Fußballfreunde vermuten lassen.

Und die Fußballteams? Spielen die Deutschen nicht immerhin völlig undeutsch locker, flockig, hinten offen? Und haben die Niederländer nicht gegen die Serben wohl kalkuliert drei Punkte heimgeschaukelt? Es wird immer schwieriger zu begründen, wer wen weshalb hier eigentlich gut oder doof findet. So fragen sich, zum Beispiel, die im Schwarzwald stationierten niederländischen Sportjournalisten im Fernsehen: Warum sind eigentlich die Deutschen hier in der Freiburger Gegend verdammt noch mal so freundlich?

MARTIN UNFRIED ist Politologe. Lebt und arbeitet in Maastricht (Europa).