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SPONTANBESUCH IM STADION

Erst keine Karte, dann falscher Name, ein Messer im Rucksack und am Ende doch drin

Ein Pappschild wirkt manchmal Wunder. 30 mal 60 Zentimeter groß ist das Kartonstück. Mit schwarzem Filzstift habe ich „ I need a ticket“ darauf geschrieben. Das Schild trage ich vor mir, als ich am Olympiastadion ankomme. Bis zum Anpfiff der Partie Brasilien gegen Kroatien sind es noch zweieinhalb Stunden, bis mich der erste Schwarzmarkthändler anspricht dauert es keine drei Minuten.

„350 Euro“! „Zu teuer“, entgegne ich ihm. Er lacht und wünscht mir viel Glück in einem Ton, als halte er meinen Versuch, eine Karte für weniger Geld zu ergattern, für Illusion. Tatsächlich: Auf meiner Runde um das Stadion werde ich permanent angesprochen. Doch die Preise steigen. 600 Euro verlangt ein Mann mit Kroatien-Trikot. Ein Deutscher fragt, wie viel ich ausgeben möchte. „100 Euro, mehr habe ich nicht“. Er macht eine abfällige Handbewegung und läuft weiter. Der Anstoß rückt näher, die Preise scheinen zu fallen. Ein anderer Kroate ist plötzlich nach kurzer Bedenkzeit zufrieden mit meinem Angebot und bittet mich zur Seite. Meine Sorge: Steht eine Name auf der Karte? „Kein Problem, niemand kontrolliert“, sagt er. Der Deal ist perfekt.

Ich gehe in Richtung des blauen Sektors, wo sich mein Sitzplatz befindet. Gehe ich als Tomislav Maltasic durch, wie es auf meiner Karte steht? Schnell werfe ich die deutsche Zeitung weg, die ich bei mir habe.

Die Sicherheitskontrollen. Ich gehe durch eine enge Schleuse, werde abgetastet. Ein kurzer Schreck: Mein Taschenmesser ist im Rucksack. Doch ich muss nur ein Fach öffnen. Glück gehabt. Ich überlege, mir von einem Nebenmann einen kroatischen Schal zu leihen, um authentischer zu wirken, lasse es aber sein und gehe zum Eingangstor.

Der erste Sicherheitsmann erklärt mir auf Deutsch, wie ich die Karte einzuführen habe. Um den Schein zu wahren und möglichst kroatisch zu wirken, schaue ich verdutzt, als hätte ich ihn nicht verstanden. Der zweite, der wohl gleich nach meinem Ausweis fragen wird, wartet schon dahinter. Statt meine Identität und die Übereinstimmung meines Namens mit dem auf der Karte zu prüfen, lächelt er freundlich. Nun also: Karte rein, der Automat blinkt grün und ich bin drin, im Stadion.

Auf meinen Platz in der Kurve treffe ich den Verkäufer von eben wieder. Er erkundigt sich, ob es Probleme gab. Sein Kollege nebenan steckt sich, während auf der Anzeigetafel ein Spot der Fifa-Kampagne „No smoking, please“ läuft, eine Zigarette an. Auch andere Verbote interessieren wenig. Irgendwann fackeln Fans ein bengalisches Feuer ab und tauchen Teile des kroatischen Fanblocks in ein leuchtendes Rot. Plötzlich läuft ein Mann im rot-weiß-karierten Trikot über das Spielfeld, lässt sich kurz darauf von Dado Prso vom Platz geleiten. Dann ist das Spiel aus. Und selbst ein Großveranstaltungsmuffel wie ich muss feststellen: Die berauschende Atmosphäre im Stadion war das Geld und Zittern wert. NIELS MÜLLER

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