Masterplan Fortschritt

AUSSTELLUNG Der Glauben an ein fortschrittliches und demokratisches Brasilien, eindrucksvoll in Beton gegossen. In einer Schau in der Brasilianischen Botschaft ist der Weg Brasílias von der Utopie zur Hauptstadt zu sehen

In einer Rekordzeit von nur vier Jahren entstand die neue Hauptstadt

VON ULRIKE WIEBRECHT

Wenn im Moment bereits viele ihre Bedenken gegenüber Brasiliens neue Fußballstadien äußern, so gab es 1956, als man in einem gewaltigeren Bauprogramm begann, in einer Art Niemandsland Brasiliens neue Hauptstadt zu bauen, erst recht Zweifler. Brasília könnte zur größten Ruine der Geschichte werden, fürchteten die Skeptiker. Würde die Stadt tatsächlich bis 1960 fertig werden? Und wenn ja, wäre sie auch funktionsfähig?

Aber dann passierte ein Wunder: In einer Rekordzeit von nur vier Jahren entstand die neue Hauptstadt. Und zwar von solcher Qualität, dass Brasília bereits 1987 in das Welterbe der Unesco aufgenommen wurde. Nicht nur, weil die Gebäude von Oscar Niemeyer, dem im Dezember des vergangenen Jahres verstorbenen Architekten Brasílias, wie etwa der Kongress in Form einer fliegenden Untertasse zu Ikonen der Architektur des 20. Jahrhunderts wurden. Wegweisend ist die gesamte Anlage der Stadt, bei der sich zwei Achsen kreuzen.

Der Masterplan von Stadtplaner Lúcio Costa ist getragen von dem Glauben an ein fortschrittliches, demokratisches Brasilien, einer Utopie, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht und schließlich unter Staatspräsident Juscelino Kubitschek verwirklicht wurde. Er wollte die koloniale Vergangenheit des Landes hinter sich lassen und eine Stadt bauen, die Ausdruck von freiheitlich-kollektiven Idealen ist.

Wie das umgesetzt werden sollte, zeigt die Ausstellung „Brasília – Von der Utopie zur Hauptstadt“ in der Brasilianischen Botschaft. Mit 180 Exponaten beleuchtet sie die Entwicklung Brasílias. Entwürfe sind zu sehen, ein riesiges Stadtmodell oder auch eine Urkunde, aus der hervorgeht, dass unter Leitung des Ingenieurs Luís Cruls bereits 1892 eine Expedition im Mittelwesten Brasiliens nach dem geeigneten Ort für die Hauptstadt suchte. Fotos zeigen den symbolischen Grundstein von 1922 und die Arbeiter, die sich dann Ende der Fünfzigerjahre den Weg durch dschungelartiges Gelände bahnen, um es für eine Bundesstraße zu erschließen.

Während auf den Bildern eines Fabio Colombini Brasílias Bauten in ihrer magischen Schönheit erstarren, halten die des deutschen Fotografen Peter Scheier oder des Deutsch-Brasilianers Jesco von Puttkamer fest, wie die rund 35.000 aus allen Landesteilen herbeigeholten Arbeitskräfte quasi aus dem Nichts die Stadt erschufen, während ihre Familien in provisorischen Behausungen unterkamen.

Keine Frage, es sind eindrucksvolle Zeugnisse vom Entstehungsprozess. Doch würde man gern mehr über das heutige Brasília erfahren. Was ist nach einem halben Jahrhundert aus der Utopie geworden? Für viele ist Brasília nach wie vor eine ungeliebte, sterile Beamtenstadt. Gewiss, die Befürchtungen, dass dort niemand hinziehen könnte, haben sich nicht bewahrheitet. Stattdessen hat die Stadt mittlerweile mit Problemen wie wachsender Kriminalität oder Verslummung zu kämpfen.

So besteht auch für Agnelo Queiroz, dem Gouverneur des Bundesstaats, „die derzeit größte Herausforderung darin, den Prozess der Metropolenbildung mit den Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung in Einklang zu bringen und gleichzeitig das städtebauliche Gesamtkonzept Lúcio Costas zu erhalten“. Diese Aspekte hätten die sehenswerte Schau abrunden können. Denn so spannend wie Brasílias Entstehung ist die Frage, was passiert, wenn das revolutionäre Pathos verpufft ist und die Fortschrittsideologie von ganz neuen Realitäten eingeholt wurde.

■ „Brasília – Von der Utopie zur Hauptstadt“ bis 16. Februar in der Brasilianischen Botschaft, Wallstraße 57, Mo–Sa 10–18, Eintritt frei