Fußball färbt ab

Schwarz-Rot-Gold ist hip – auch unter Migranten. Wenn jetzt auch Türken, Marokkaner und Thailänder mit Deutschlandfahnen wedeln, ist die oft geforderte Integration offenbar längst Realität

AUS DORTMUND SIMON BÜCKLE

Nordrhein-Westfalen versinkt in einem Meer aus Schwarz-Rot-Gold. Auch Dönerläden, italienischen Eiscafés und Kioske in Migrantenhand kommen in diesen Tagen nicht ohne Deutschlandfahne aus. Nicht nur am Mittwochabend vor dem Spiel Deutschland gegen Polen zeigen viele Migranten in der Dortmunder Innenstadt die deutschen Landesfarben.

„Ich lebe in Deutschland, ich lebe mit Deutschen, ich liebe Deutschland – von meinen Gedanken und Gefühlen her bin ich Deutscher“, erklärt Zakaria (30) und umarmt seine deutsche Frau. Vor dem Spiel hat er sich die deutschen Farben auf den Oberarm gemalt und ein schwarz-rot-goldenes Fähnchen. In der Menge der Fans fällt er auf – seine Haut, seine Haare, seine Augen sind schwarz. Er wurde in Casablanca geboren und hat einen marokkanischen Pass. Vor vier Jahren verließ er seine Heimat und kam nach Dortmund.

Von seiner Heimat hat er sich dennoch nicht gelöst: „Wenn Marokko bei der WM dabei gewesen wäre, würde ich schon in einen Konflikt kommen“, sagt er. Doch er findet es toll, dass sich immer mehr Migranten offen zu Deutschland bekennen und auch dass die Deutschen mit ihrem Patriotismus nun lockerer umgehen: „Wir sollten die Vergangenheit vergessen – diese Leute sind nicht schuldig. Wir sind alles Menschen und gehören zusammen.“ Wenn Deutsche beim kollektiven Singen der Nationalhymne durch die negativen Assoziationen eine Gänsehaut bekommen, dann ist es bei Zakaria genau anders herum: „Ich liebe diese Melodie.“

Nicht alle lassen sich von der schwarz-rot-goldenen Begeisterung anstecken: Hassan (27) kam vor drei Jahren aus Tunesien nach Deutschland. „Manchmal fühle ich mich wie zu Hause und manchmal frage ich mich, warum ich überhaupt hier her gekommen bin“, sagt er nachdenklich. So ein Augenblick des Zweifels erlebte er bei der Eröffnungsfeier auf dem Friedensplatz: Mit einem tunesischen Freund feierte er mit der Fahne seines Heimatlandes in den Händen. „Dann tauchten zwei Glatzen mit Nazi-Tatoos auf und wollten, dass wir die wieder einpacken“, beschreibt er diese angespannte Situation, in der Security-Mitarbeiter einschreiten mussten. Auch wenn Hassan den Eindruck hat, dass die Deutschen allgemein gastfreundlich sind, bleibt er doch lieber bei seinen Farben: „Als Dortmunder fühle ich mich schon, als Deutscher jedoch nicht – noch nicht.“

Wachirawut Sanguanchue ist in erster Linie BVB-Fan, läuft aber in diesen Tagen mit Deutschland-T-Shirt durch die Straßen. „Ich muss doch für Deutschland sein, es spielen ja viele vom BVB in der Mannschaft“, sagt der 23-Jährige, der als Kind aus Thailand nach NRW kam. „Es wird wieder Zeit, dass wir Weltmeister werden.“

Metin findet, dass sich alle Migranten – besonders die der Folge-Generationen – zu Deutschland bekennen sollten: „Wir leben hier, wir gehen hier zur Schule, wir verdienen hier unser Geld – da müssen wir auch zu Deutschland stehen.“ Sein Vater kam vor 30 Jahren aus der Türkei nach Deutschland um Arbeit zu finden; der 23-Jährige wurde in Dortmund geboren. Auch die Deutschen sollten seiner Meinung nach einen Neuanfang machen: „Generationen sind seit dem Krieg vergangen, wir sollten uns davon befreien – es wird Zeit.“ Zur WM hat er sich extra mit Schwarz-Rot-Gold ausgestattet: Trikot, Schirm-Mütze, Fahne – das volle Programm. Während des Eröffnungsspiels stand er auf dem Dortmunder Friedensplatz, in der Masse der deutschen Fans. Dann kam das Lied: „Steht auf, wenn ihr Deutsche seid!“ Metin zögerte nicht lange – und stand auf.