: berliner szenen Falsches Fengshui
Kirchgang mit Polen
Es sei besser, die Fußball-WM „unbenebelt“ zu gucken, steht auf einem Zettel am Eingang zum Garten der Heilig-Kreuz-Kirche. Deshalb gibt es hier nur alkoholfreies Bier. Der Garten ist sehr schön am Abend. Es gibt alte Bäume, kostengünstig Gegrilltes und einen kleinen Brunnen, der an einer Mauer plätschert. Das Publikum ist gemischt, wie bei einer Konfirmationsfeier, und der Kirchenverantwortliche sieht aus wie ein Exhausbesetzer aus den Achtzigern. Bevor es losgeht, spricht er einleitende Worte, die damit enden, dass er für Deutschland ist. Hier sind das die meisten, aber auf freundliche Art, also ohne Adler.
Dann geht es los. Der TV-Reporter ist klasse. Irgendwann sagt er, dies wäre ein Foul – „so sah es zumindest in der Realen aus“. Dann ist es seltsam und schön, von vor der Leinwand zur Toilette durch den Innenraum der stillen Kirche zu gehen. Ich bin ein bisschen für Polen und im Verlauf des Spiels immer mehr. Elwiera ruft mit wehmütiger Melodie immer „Polska Gola!“, und als die Deutschen das polnische Tor immer mehr bedrängen: „Niema ine bendzie.“ Sie sagt, das bedeute „Allah ist groß“, aber in Wirklichkeit heißt es: „Es gab keinen Treffer und es wird keinen geben“ – was in gewisser Weise ja das Gleiche ist.
Später sitzen wir traurig auf den Bänken vor dem HAU am Ufer unter Bäumen und daneben der Verkehr. Alles ist, als wären wir woanders. Still liegt Piotr mit geschlossenen Augen auf der Bank. Ein Auto fährt mit einer deutschen, einer türkischen und einer Piratenfahne vorbei. Es gibt auch Kombinationen von deutschen und palästinensischen Fahnen. Das Gehupe ist sehr schön, fürs Fengshui der Stadt wäre aber ein unverdienter Sieg der Polen viel besser gewesen.
DETLEF KUHLBRODT