: Vornehme Zurückhaltung
GEORGIEN Auf Proteste in Kiew reagierte Tiflis lange verhalten – wegen Moskau
SUGDIDI taz | In Georgien glauben viele, dass sich auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz (Maidan) nicht nur das Schicksal der Ukraine entscheidet. Deshalb werfen viele Nutzer sozialer Netzwerke der Regierung vor, nicht sofort Unterstützeraufrufe für die Protestierenden in Kiew und in anderen Städten der Ukraine verfasst zu haben. Die mit der Passivität ihrer Regierung unzufriedenen Georgier erinnern sich noch gut daran, wie die Ukrainer sie im August 2008 während des tragischen Krieges gegen Russland um Abchasien und Südossetien unterstützten.
Gleich zu Beginn des „Euro-Maidan“ in Kiew wurde die Strategie in Tiflis klar: die eines passiven Beobachters. Gleichzeitig betonten die Politiker, wie wichtig die „Hausaufgaben“ seien, die Georgien bei dem EU-Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Vilnius aufgegeben worden waren. Niemand, außer Vertretern der Zivilgesellschaft, hatte es eilig, sich zu der Entscheidung des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch zu äußern, das EU-Assoziierungsabkommen nicht zu unterzeichnen. Doch die gewaltsame Auflösung der Proteste in Kiew brachte den passiven Beobachter dazu, eine Solidaritätserklärung für die Ukrainer abzugeben, die das Parlament am 11. Dezember annahm.
Die Opposition bezichtigte die Regierung, vor Russlands Präsident Wladimir Putin in die Knie gegangen zu sein. Expräsident Michail Saakaschwili traf sich am 7. Dezember mit Vertretern der Opposition in Kiew. Auch er war 2003 im Zuge der „Rosenrevolution“ an die Macht gekommen. Doch massive Menschenrechtsverletzungen und das Bestreben, den politischen Feind zu vernichten, führten dazu, dass über „Mischa“ das Urteil gefällt wurde. Zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit Georgiens kam es 2012 zu einem Machtwechsel bei Parlamentswahlen. Ein Jahr später musste auch Saakaschwili abtreten.
Für viele steht fest, dass, wäre er noch an der Macht gewesen, die Präsidentenresidenz schon in den ersten Tagen der Kiewer Proteste in den ukrainischen Nationalfarben erstrahlt wäre. Doch die zögerliche Haltung der Regierung zeigte sich auch hier: Erst am 11. Dezember wurde eines der ältesten Gebäude in Tiflis in Gelb und Blau beleuchtet.
Offensichtlich fürchtet Tiflis, dass deutliche Kritik an den Politikern im Kreml und Solidarität mit der Ukraine Moskaus ohnehin schon feindlichen Einstellungen weiteren Auftrieb geben könnten. Doch unabhängig davon: Auch so steht Georgien ein schwerer Weg bevor. Es geht um Probleme mit der Wirtschaft, Bildung und Gesundheitsversorgung sowie die Intoleranz gegenüber religiösen, ethnischen und sexuellen Minderheiten, die die georgisch-orthodoxe Kirche nach Kräften anheizt.
Natürlich wäre es für Tiflis viel leichter, den Weg nach Europa mit den ukrainischen Partnern zu gehen. Dennoch: Man möchte immer noch glauben, dass das Schicksal der Ukraine nicht in den Korridoren des Kreml entschieden wird, sondern auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz. Dort schwenken die Menschen nicht nur ukrainische, sondern auch rot-weiße georgische Flaggen – als Zeichen der Solidarität. MALKHAZ CHKADUA
Aus dem Russischen Barbara Oertel