: Ménage à quatre
Bürgerlich libertär: „Malen oder Lieben“ von den Brüdern Arnaud und Jean-Marie Larrieu ist ein Datemovie für Ehepaare mittleren Alters
von EKKEHARD KNÖRER
Die eine malt, die andere nicht. Die Alternative, die der Titel suggeriert, ist dennoch falsch. Ganz emphatisch geht es in „Malen oder Lieben“ in mehr als einer Hinsicht um ein polymorphes Sowohl-als-Auch, wenn auch, Gott sei Dank, nicht gleichzeitig.
Zwei Paare, so populär wie attraktiv besetzt: William (Daniel Auteuil) und Madelaine (Sabine Azema), Adam (Sergi Lopez) und Eva (Amira Casar). Madelaine malt auf einer Wiese vor dem Wald, in der schönen Landschaft des Vercors, die eine Art Paradies ist. Als es dämmert, läuft ihr ein Adam ins Bild. Sie malt nicht weiter und folgt diesem Adam, der blind ist und sie zu einem Haus führt, das zum Verkauf steht. Da gehen ihr die Augen über: Ein Paradies mit blindem Adam und baufälligem Haus, das entspricht ziemlich genau Madelaines Vorstellung vom Glück.
Erst einmal passiert dann aber nicht, was man erwarten würde, nämlich dass Adam Madelaine begehrte und Madelaine Adam. Zum Ehebruch kommt es nicht, ganz im Gegenteil: Madelaine ist verheiratet, und zwar recht glücklich, seit dreißig Jahren. Zwar muss sie William, den Meteorologen, erst vom Reiz stabiler paradiesischer Großwetterlagen überzeugen. Das aber gelingt, denn im verfallenen Haus hat er mit seiner Ehefrau plötzlich wieder aufregenden, oder vielleicht auch nur: überhaupt wieder Sex. (Wir erkennen es am sanft verrutschten Hemd, hinterher.) So richtet auch er sich neu ein, das Haus wird gekauft und renoviert. Das mit dem Sex geht so weiter, bringt die beiden aber auf andere Ideen.
Inzwischen nämlich ist auch Eva ins Bild gelaufen, die wunderschöne junge Frau des blinden Adam. Sie komplettiert das Quartett und hat, anders wiederum, als man erwarten würde, nicht unmittelbar Verführung im Sinn. Eva wird gemalt werden und auch geliebt, bis dahin vergeht aber noch ein wenig Zeit. In dieser Zeit kommen sich die Paare, Adam und Eva, Madelaine und William, näher bei einem Glas Wein im schönen neuen Haus im Paradies. Zeit vergeht, und beim Vergehen der Zeit sehen wir eine ganze Weile zu, nicht recht ahnend, was sich dabei an Erstaunlichem zusammenbraut. Einmal wird es Abend und auch Nacht und wir gehen an Adams Hand durch die Dunkelheit. Da wird die Leinwand schwarz und bleibt es für einige Minuten.
Bald darauf bricht ein Feuer aus, Adams und Evas Haus brennt ab. Sie ziehen zu William und Madelaine. Von da an nehmen die Dinge Wendungen, die man vorab besser nicht verrät. Der Film jedenfalls erzählt von diesen durchaus verblüffenden Wendungen mit ausgesuchter Beiläufigkeit. Leise bringt er ein halbwegs aufgeklärtes, aber erzbürgerliches Wert- und Weltgefüge ins Rutschen; sanft rutscht es dahin. An die Stelle der bürgerlichen Konvention mit ihren Undenkbarkeiten tritt eine fraglos ebenso bürgerliche Utopie tief empfundener Arglosigkeit. Dunkle Geheimnisse, die man vermutet, lösen sich in Luft auf und in Liebe. Madelaine und William machen eine neue Erfahrung, sie zögern und sind verwirrt, aber am Ende erweist sich die Erfahrung als wiederholbar, ja, sie ist zur Serienreife entwickelt.
„Malen oder Lieben“ ist der vierte und bisher erfolgreichste Langfilm des Brüderpaars Arnaud und Jean-Pierre Larrieu; die Mehrzahl der Kritiker fand das immerhin im letzten Jahr im Wettbewerb von Cannes gezeigte Werk einfach nur belanglos, manchem aber schien es gerade in seiner Harmlosigkeit radikal. Die hier entwickelte erotische Vision jedenfalls hat ungefähr die Sprengkraft der Floskel „für alles aufgeschlossen“ in einer Annonce im Heiratsmarkt der Zeit. Wer immer schon mal genau wissen wollte, was sich dahinter verbirgt, für den ist „Malen oder Lieben“ der perfekte Film. Ein wunderbares Datemovie für befreundete Ehepaare mittleren Alters ist er eventuell auch. Hinterher wird dann, wenn alles gut geht, gemeinsam nach Frankreich gefahren, ein Haus renoviert, Wein getrunken, gemalt und geliebt.
„Malen oder Lieben“, Regie: Arnaud und Jean-Marie Larrieu. Mit Daniel Auteuil, Sabine Azema u. a., Frankreich 2006, 98 Min.