Apropos Kinderarbeit

betr.: „Kleine Hände, dicke Schwielen“, Brennpunkt zum Welttag gegen Kinderarbeit, taz vom 12. 6. 06

Warum beruft sich die taz nun schon zum wiederholten Male auf eine kleine dubiose akademische Gruppe und berichtet immer nur über diese? Mich erinnert dies an die kommunistischen Splittergruppen an den Unis in den 80er-Jahren, die es mit drei Leuten schafften, den Eindruck zu erwecken, hunderte von Zuhörern würden ihre wirren Meinungen teilen. Alle großen Hilfswerke arbeiten mit Gruppen in der so genannten Dritten Welt zusammen, die ausbeuterische Kinderarbeit komplett bekämpfen, und haben hunderttausende von Sozialaktivisten hinter sich.

Bei Misereor zum Beispiel benutzt man für die tägliche Arbeit die Kurzformel: Ein Kind unter 14 Jahren, das nicht in die Schule geht, weil es arbeiten muss, ist ein Kinderarbeiterkind. Die Aktionsgruppen vor Ort bekämpfen dann aber nur die Arbeiten, die zusätzlich gesundheitsschädigend sind und unter ausbeuterischen Bedingungen geschehen. Mir kommt dies vor wie der Kampf der Südstaaten der USA gegen die Sklaverei. Auch dort behaupteten die Nordstaatler, es ginge den Sklaven doch unter ihrer Obhut und ihren Regelungen besser, als wenn sie frei wären und dann nicht wüssten, wie sie sich ernähren sollten.

Welche Rechtfertigung soll es dafür geben, dass sechs-, acht-, zehn- oder zwölfjährige Kinder jeden Tag zwölf bis 16 Stunden an Knüpfstühlen in dunklen Hütten arbeiten müssen? Oder dass zehn- bis 13-jährige Kinder so wie Sklaven 45 kg schwere Bohrhämmer halten müssen, um 20 Tonnen schwere Granitblöcke abzusprengen, die dann als Grabsteine auf unseren deutschen Friedhöfen landen? Diese Kinder haben eine Lebenserwartung von 35 bis 38 Jahren. Apropos Kinderarbeit in Steinbrüchen. Annette Jensen schreibt, dass dort weniger als ein Prozent der Arbeiter Kinder seien. Woher hat sie diese Zahl? Selbst der Verband der Granitsteinexporteure Indiens, der mit aller Macht verhindern will, dass bekannt wird, dass es verbotene, ausbeuterische Kinderarbeit in Exportsteinbrüchen Indiens gibt, spricht von fünf bis zehn Prozent. Ich selber habe bei meinen Besuchen in Steinbrüchen, wenn ich unangekündigt kam, nie unter 30 % Kinder angetroffen – oft waren es mehr als die Hälfte.

Und dann noch diese leidige Schwarz-Weiß-Malerei, es gäbe nur die Alternative zwischen Boykott einerseits oder Akzeptieren der Kinderarbeit andererseits. So ein Quatsch. Inzwischen fordert fast niemand mehr Boykottaufrufe, sondern vielmehr wird der bewusste Kauf von Waren aus der so genannten Dritten Welt, die garantiert ohne Kinder- und Sklavenarbeit hergestellt sind, propagiert. Viele Städte und Kommunen in Deutschland haben sich bereits verpflichtet, keine Waren mehr aus ausbeuterischer Kinderarbeit zu kaufen, und die Siegel Transfair für Lebensmittel oder Rugmark für Teppiche haben inzwischen ihren Markt gefunden und neue Siegel sind im Entstehen. So werden z. B. nächste Woche die Kontrollen vor Ort in Indien in Exportsteinbrüchen beginnen, sodass bald Granitsteine aus Indien, die garantiert ohne verbotene Kinder- und Sklavenarbeit hergestellt sind, in Deutschland zu kaufen sein werden.

BENJAMIN E. D. PÜTTNER,

Kinderarbeitsexperte von Misereor und

Geschäftsführer Xertifix e. V., Freiburg