: Der Run der Griechen auf Istanbul
Die griechisch-türkischen Beziehungen gelten als schlecht – wegen der Spannungen um Zypern und der Konflikte in der Ägäis. Der Alltag sieht anders aus. Immer mehr Griechen investieren beim Nachbarn. Auch die Zahl griechischer Touristen wächst
AUS ISTANBULJÜRGEN GOTTSCHLICH
Der oberste Pope trug eine Goldkrone, auch die anderen Priester waren in feine Brokatgewänder gehüllt. Der Pomp, den die griechisch-orthodoxe Kirche an hohen Feiertagen zelebriert, hat weder im Katholizismus noch bei den Protestanten seinesgleichen. Die Gottesdienstbesucher kamen in Scharen. Das Namensfest des Heiligen der Kirche im orthodoxen Priesterseminar auf der Prinzeninsel Heybeli vor der Küste Istanbuls am letzten Sonntag war ein Höhepunkt für die Griechen in der Türkei. Doch gekommen waren nicht nur die Gläubigen aus Istanbul und Umgebung. Auch aus Thessaloniki und Athen, ja selbst aus Kreta waren sie angereist, um der großen Tradition der Orthodoxie in Istanbul zu gedenken.
Obwohl die türkische Regierung im Streit um eine Wiedereröffnung des Priesterseminars nicht einlenkt, ist der Ort zu einem Wallfahrtsplatz der Orthodoxie geworden. Doch der griechische Run auf Istanbul ist nicht auf hohe Feiertage beschränkt. Zwar zählt die Gemeinde des Patriarchen Bartholomäus in Istanbul nur wenige tausend Mitglieder, seit einigen Jahren füllen aber wieder Gläubige aus Griechenland die Lücken.
So sehr die internationale Wahrnehmung der türkisch-griechischen Beziehungen durch die Spannungen um Zypern und die Konflikte in der Ägäis geprägt ist – der Alltag dieser Beziehungen sieht anders aus. Ein Indikator sind wachsende Besucherzahlen in Istanbul und in den Städten an der türkischen Ägäisküste. Dass die Besuche nicht auch im umgekehrter Richtung stattfinden, liegt an den strengen Visa-Regeln der EU, die auch für einen kleinen Grenzverkehr zwischen türkischer Küste und den vorgelagerten griechischen Inseln keine Ausnahme macht.
Wie sehr sich das Verhältnis der lange verfeindeten Länder verbessert hat, zeigt sich vor allem in der Wirtschaft. Während die Politiker zögern, marschieren die Kapitalisten voran. Aus keinem anderen Land sind so viele Unternehmen in der Türkei engagiert wie aus Griechenland – über 800 hat die griechisch-türkische Industrie- und Handelskammer in Izmir gezählt. Darunter sind Megadeals wie der Einsteig der National Bank of Greece bei der türkischen Finansbank (46 Prozent) oder die Übernahme der Tekfenbank durch die griechische Bank EFG.
Diese Verflechtungen sind die beste Garantie, dass auch bei der absehbaren Verschärfung des Konflikts um Zypern im Herbst die nichtstaatlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern weiter funktionieren werden. Eine große Verantwortung haben die Medien in beiden Ländern. In der letzten Woche fand in Istanbul ein griechisch-türkischer Medienkongress statt, zu dem auch Griechenlands Außenministerin Dora Bakoyannis und ihr türkischer Kollege Abdullah Gül anreisten. Beide warben für genaueres Hinschauen und warnten vor nationalistischen Kampagnen in den Medien.
Mit seiner griechischen Kollegin versteht der türkische Außenminister sich auch persönlich prächtig. Das sich dieses Vertrauen auch politisch auszahlt, zeigte sich bei dem Zusammenstoß zweier Militärflugzeuge in der Ägäis Ende Mai. Noch bevor sich eine große Krise entwickeln konnte, hatten Gül und Bakoyannis sich telefonisch auf eine gemeinsame Sprachreglung geeinigt. Nach dem Medienkongress unterzeichneten sie ein Papier über weitere vertrauensbildende Maßnahmen – darunter eine Telefonhotline zwischen beiden Armeeführungen, um weiteren Zwischenfällen vorzubeugen.
Im Herbst wird der griechische Premier Karamanlis in Ankara erwartet. Wenn es noch eine Chance gibt, den Konflikt um Zypern zu entschärfen, werden Karamanlis und sein türkischer Kollege Tayyip Erdogan sie wohl bei diesem Treffen ausloten.