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Archiv-Artikel

Kapitalistische Traumabewältigung

NEUES BAUEN In den Neunzigern war das polnische Einfamilienhaus eine Mischung aus Protz und Postmoderne. Nun aber macht sich eine neue Generation von Architekten ans Werk. Das Polnische Institut zeigt neun Arbeiten – und eine verspielte Rückkehr der Moderne

VON UWE RADA

Bei deutschen Häuslebauern stehen Fertighäuser aus Polen derzeit hoch im Kurs. Anbieter wie Pab-Varioplan oder Danwood versprechen nicht nur, rund 30 Prozent billiger zu sein als die deutsche Konkurrenz. Auch die Vielfalt des Angebots ist enorm. Im Katalog gibt es das „Polnische Passivhaus Villa Viktoria“, das „Haus Walderdbeere mit Markise“, das „Adonisröschen mit Wohngarten“ oder das „Polnische Fertighaus Eukalyptus“. Das klingt tatsächlich so, wie es aussieht: Kleinbürgerträume aus dem Eklektizismuskatalog – irgendwie halt polski szyk.

Der Würfel als Modell

Nicht viel anders sieht es mit dem Schick in Polen aus. Wer östlich der Oder über die Dörfer oder Vorstädte fährt, sieht entweder die berühmt-berüchtigten kostki, die Würfel aus der kommunistischen Gierek-Ära, oder postmoderne Protzvillen aus der Nachwendezeit. Anspruchsvolle Einfamilienhausarchitektur, Bauten, die sich in ihre Umgebung einpassen, ökologische Standards wie das Passivhaus oder ästhetisches Understatement sind selten. Doch es gibt sie, wie die Ausstellung „Zum Beispiel. Ein neues polnisches Haus“ zeigt, die derzeit im Polnischen Institut zu sehen ist.

Erstaunlich ist dabei die Renaissance des modernen Bauens, wie etwa beim „Mäander-Haus“ der Architekten Dariusz Herman und Piotr Śmierzewski. Wer wegen des Namens organische Formen sucht, wird enttäuscht sein. Mäandernd ist nur die Raumfolge des lang gestreckten rechteckigen Baus. Wer, den Grundriss in der Ausstellung vor Augen, in Gedanken von einem Ende des Hauses zum andern geht, hat einen kleinen Slalomlauf vor sich. So wirkt die Wohnfläche mit nur 121 Quadratmetern größer. Das Äußere des Wohnhauses in Koszalin nahe der Ostseeküste ist puristisch: eine unverputzte Ziegelfassade mit großen Fenstern, dazu eine innen liegende Terrasse.

„In Polen wenden sich immer mehr Architekten wieder der Moderne zu“, schreibt der Architekturkritiker Paweł Kraus in seinem Aufsatz über die „Geschichte des polnischen Hauses“ im Katalog zur Ausstellung. Allerdings variierten sie dabei mit einer ganzen Reihe von Elementen: der Absage an Symmetrie, Flachdächern, homogenen Fassaden, dem Spiel von innen und außen, der Öffnung zur umgebenden Natur.

Dieser spielerische Umgang mit der Moderne knüpft scheinbar nahtlos an die individuelle Gestaltung der Würfelhäuser aus der Zeit des Kommunismus an, weiß Kraus. Weil ein Gesetz aus dem Jahre 1974 die Wohnfläche für Einfamilienhäuser auf 110 Quadratmeter begrenzt hatte, griffen die Polen zur Selbsthilfe. „Sofort begannen die Bewohner, das Gesetz durch den Anbau von Garagen, den Bau von Kellern und Mansarden zu umgehen“, erinnert Kraus. Allein an den Flachdächern habe man noch erkennen können, dass all die Häuser einmal gleich ausgesehen hätten. Kraus nennt das eine „Manifestation des Individualismus“.

Eine solche war wohl auch die Absage an den Purismus der Moderne, die mit der Wende das Land erfasste. Auf der Suche nach einem neuen, einem „nationalen Stil“ des Einfamilienhauses entdeckte man zwar – als eine Art Blaupause – das polnische Landhaus aus der Zeit der Adelsrepublik. Das aber wurde sogleich in all seine Bestandteile zerlegt und neu zusammengesetzt, meint Kraus. „An die Stelle der klassischen oder Renaissance-Elemente des Landhauses trat eine neue Auswahl der Formen mit den entsprechenden Namen Alabaster Sphinx, Aphrodite’s Dream oder Grand Palais“. Nicht anders war es bei den Fertighäusern, die zur gleichen Zeit auf den Markt kamen. „Monster der Transformation“ nennt Paweł Kraus diese Architekturen.

Rückzug ins Private

Demgegenüber muten die neun Häuser, die die Kuratorinnen Agnieszka Rasmus-Zgorzelska und Aleksandra Stępnikowska vom Warschauer Architekurzentrum für die Ausstellung ausgewählt haben, angenehm zurückhaltend an.

Die beiden Häuser, die die Architekten Marcin Jojko und Bartłomej Nawrocki 2009 in Rybnik realisiert haben, scheinen mit der sie umgebenden Landschaft fast eine Symbiose eingegangen zu sein. Schräg abfallende Baukörper versinken teilweise in der Erde, die Dächer sind begrünt, die Wohnräume nach Süden ausgerichtet. Die Kunst der Architekten bestand darin, dies alles auf engstem Raum zu bewerkstelligen – denn noch immer sind polnische Häuslebauer im Schnitt weniger finanzkräftig als solche in Deutschland. Das Grundstück spielt oft eine limitierende, aber auch disziplinierende Rolle.

Mitunter aber ist es auch die Gelegenheit, der Außenwelt zu zeigen, was man von ihr hält – nämlich gar nichts. Das jedenfalls ist die Botschaft des „introvertierten Hauses“ von Piotr Brzoza und Marcin Kwietowicz. Von dem schmalen Grundstück in einem Warschauer Außenbezirk sieht man von der Straße nur eine fensterlose Mauer. Die gehört, als Außenwand, zu einem der vier Pavillons, die die Architekten auf dem Grundstück errichtet haben. Einer beherbergt das Wohngebäude, die drei anderen Garage, Atelier und Gästehaus. Nicht nur unzählige Gated Communities bringt die Angst vor der Kriminalität in Warschau hervor, sondern auch nach außen abgeschottete Einfamilienhäuser. Der Rückzug ins Private scheint unaufhaltsam.

Tatsächlich aber ist er, behauptet Joanna Kusiak von der Universität Warschau, eine Traumabewältigung. Kusiak zeigt sich in ihrem Beitrag über „das polnische Haus“ im Katalog davon überzeugt, dass die Architektur, vor allem die der Einfamilienhäuser, viel sagt über die Ängste und Träume einer Gesellschaft. Vor allem in den Neunzigern hat die Soziologin drei „Ticks“ der polnischen Nachwendegesellschaft identifiziert.

Psychologie des Bauens

Der erste ist der „Traum von Farbe“ als Bewältigung des grauen Einerleis aus der kommunistischen Ära – deshalb wurden auch gleich nach der Wende all die grauen Würfel bunt angestrichen. Zweitens bezeichnet sie den Wunsch nach Schönheit als Traum, mit dem das Trauma der Zerstörung der Städte und der Verfall zahlreicher Gutshöfe kompensiert werden sollte. Und drittens schließlich erwachse aus der Politik der Gleichmacherei der Wunsch nach Individualismus.

Mit ihrem Ausflug in die Psychologie schafft es Kusiak auch, eine Synthese der wilden neunziger und der zunehmend zurückhaltenden nuller und zehner Jahre zu formulieren. Die neunziger Jahre waren für Kusiak eine Zeit der massiven Ablehnung und des Protestes gegenüber dem Sozialismus. „Heute lassen die Architekten diese Phase hinter sich, nicht ohne ihre Motive in eine neue Formensprache – und frei von jedem Minderwertigkeitskomplex – zu überführen.“

So gesehen zieht sich vom bunt angepinselten Würfel über „Aphrodite’s Dream“ bis hin zu dem „Mäander-Haus“ ein roter Faden. Offenbar ist Architektur in Polen noch immer das Selbstgespräch einer Gesellschaft im Übergang.

Einen Unterschied aber gibt es im Vergleich zum wilden Turbokapitalismus der Neunziger. War der Protz der Postmoderne der Versuch einer prekarisierten Gesellschaft, durch den Bau eines Eigenheims finanzielle und ästhetische Werte zu schaffen, zeigt die Architektur der neun Häuser im Polnischen Institut: Polens Mittelschicht ist mit ihrer Ästhetik in Europa angekommen.

Und exportiert ihre Träume der vergangenen Dekade erfolgreich in den Westen. Was für eine hübsche Ironie.

■ „Zum Beispiel. Ein neues polnisches Haus“. Polnisches Institut, Burgstraße 27. Bis 7. Februar 2014, Di.–Fr. 10–18 Uhr