: Draußen, ein intimer Platz
Vom Leben in Gärten und anderen Nischen: Beate Harembski, zu Zeiten der DDR Schwimmmeisterin, Gärtnerin und Bürgerrechtlerin, führt heute durch „nie gesehene Gärten“
VON ANJA MAIER
Frau Harembski eilt zum Gartentor. Sie riecht ein bisschen nach kaltem Rauch – eine letzte Zigarette kurz vor dem Eintreffen der Gäste. Frau Harembski trägt ein für diesen Frühsommertag zu warmes Wollsakko. Aber sie sieht darin sehr kompetent aus, und es passt zu ihrer dunklen Schüttelfrisur. Sie begrüßt die Gäste, legt bei den ersten Sätzen dozierend die gespreizten Fingerkuppen aneinander, Standbein, Spielbein, noch vibriert ihre Stimme vor Aufregung.
Nicht mehr lange, und Frau Harembski wird das Sakko abgelegt haben. Sie wird in Jeans und T-Shirt durch den Garten stapfen und mit ihren kurzen energischen Händen auf Pflanzen weisen. Sie wird in ihrem schönen Altberliner Dialekt Bäume, Stauden, Gräser bei ihren Namen nennen, hin und wieder einen Zweig zur Hand nehmen und ihn vorsichtig auseinander ziehen, damit der Gast die „unegalen Blattansätze“ bestaunen kann. Wird von „tanzenden Bäumen“ sprechen, von „intimen Gartenräumen“ und immer wieder von der „Geschichte, die alles hat“, hier in diesem brandenburgischen Parkgarten. Frau Harembski verkauft ein Gefühl, sie beschwört eine in fast jedem Menschen angelegte, nahezu verklungene Erinnerung. Was sie dazu braucht: einen großen Garten, ein altes Haus, ein exklusives Adressverzeichnis. Sie zeigt dem Gast etwas, wonach er sich sehnt: „nie gesehene Gärten“.
Ihr Ein-Frau-Unternehmen in Zühlsdorf bei Berlin trägt diesen poetischen Namen. Er macht neugierig auf sonst streng verborgene Privatgärten, zu denen Frau Harembski Fremden Zugang verschaffen kann. Sie führt die Gäste und macht mit den Besitzern bekannt. Kann erklären, welche Idee einem Gräserbeet, gar einem kleinen Weinberg zugrunde liegt, wie solch ein Garten angelegt und gepflegt werden muss.
Passionierte Staudengärtner, Künstler oder auch Leute, die grübeln, wie sie ihren eigenen Garten anlegen sollen, zahlen Frau Harembski Geld für solche Gartentouren. Nicht eben wenig – 85 Euro kostet so ein Tag. Gut angelegtes Geld, denn sie schafft es tatsächlich, dass der Gast etwas Verlorenes wiederfindet: in Zeiten der Gartenmarkt-Diktatur mit Terrakotta-Enten und Löwenmäulchen im Zwölferpack wieder dem inneren Gespür für Gleichmaß, Schönheit und Natürlichkeit zu vertrauen.
Dass die 48-Jährige etwas tut, was mit Wissensvermittlung zu tun hat, ist kein Zufall. Die Frau hat einiges erlebt, hat viel zu erzählen. Beate Harembski gehörte in den Achtzigerjahren zu jenen, die heute „Bürgerrechtler“ genannt werden. Als sei dies ein Beruf, den diese Menschen sich seinerzeit zu ergreifen entschlossen hätten. In Wahrheit waren sie Unzufriedene, geistig hungrig Gehaltene, die sich für den weitaus schwierigeren Weg entschieden haben als die meisten DDR-Bürger: sich öffentlich auszugrenzen und dieses Ausgegrenztsein zäh auszuhalten.
Beate Harembski hat ihr junges Erwachsensein in der DDR in einer Art Wartestellung verbracht, sie hat selbst dafür gesorgt, dass es nicht ohne Brüche verlief. Nach dem Abitur in Ostberlin hat sie Soziologie studiert und zur Kenntnis nehmen müssen, dass der für sie vorgegebene Weg im ideologisch ausgerichteten Betrieb der Akademie der Wissenschaften nicht ihrer sein konnte. „Ich habe gemerkt, das verändert mich in einer Weise, die ich nicht mehr beherrschen kann.“ Nach zwei Semestern hat sie das Studium geschmissen und etwas komplett anderes gemacht: Schwimmmeisterin, „staatlich geprüft“, betont sie. In der DDR wurde ja gern allerlei staatlich geprüft.
Zwei Jahre steht sie am Beckenrand und schaut Berliner Kindern beim Bahnenziehen zu. Dann, 1981, beginnt sie etwas Neues, sie fängt als Aushilfskraft in der Gärtnerei des hauptstädtischen Tierparks an. Sie qualifiziert sich zum „Facharbeiter für Zierpflanzen-Produktion“, es gibt nur die männliche Berufsbezeichnung. Ein nüchterner Begriff für ihren Traumberuf: in den Gewächshäusern zu werkeln, Pflanzenfutter für die Tiere anzubauen, Stauden für den Park, Palmen fürs Elefantenhaus. Noch heute hat sie Pflanzen aus dieser Zeit, die sie beim lateinischen Namen nennt und denen sie übers Laub streicht wie einer alten Tante über die Wange.
Die Jahre im Tierpark, später – ausgerechnet! – in der Gärtnerei des Pionierpalastes „Ernst Thälmann“, sind auch die, in denen sie zur Bürgerrechtlerin wird. Sie ist mit der Kunsterzieherin Ulrike Poppe befreundet, arbeitet mit ihr, Bärbel Bohley und anderen bei „Frauen für den Frieden“ mit. Die Gruppe hatte sich 1982 gegründet, als das Wehrdienstgesetz der DDR geändert wurde, damit im Kriegsfall auch Frauen zum Militär eingezogen werden konnten. Es war die Zeit der Stationierung von SS-20-Atomraketen im Osten, von Pershing II und Cruise-Missiles im Westen. In der DDR wurde „Zivilverteidigung“ als Pflichtfach eingeführt, 16-Jährige wurden in Uniformen gesteckt, an der Waffe geschult und mussten vor den jüngeren Schülern über den Schulhof marschieren. Die Frauen für den Frieden taten Dinge, die ihnen Häme und Unverständnis eintrugen – und die Feindschaft der Staatssicherheit. Sie bildeten Menschenketten, sie gründeten einen freien Kindergarten, sie fasteten, sie wählten eine Art der Öffentlichkeit, die einer dauergewellten, dreifach belasteten DDR-Schichtarbeiterin äußerst bizarr anmuten musste.
1992 hat Beate Harembski ihre Stasi-Akte gelesen. Von „der Harembski“ ist da die Rede. Sie haben sie verachtet, sie haben einen Mann auf sie angesetzt. Und sie hatten auch schon einen Plan, sie und die anderen Frauen fertig zu machen. 1983 wurden Ulrike Poppe und Bärbel Bohley des Landesverrats angeklagt und sechs Wochen in Untersuchungshaft gehalten, Anfang 1988 wurde Bohley gezwungen, die DDR zu verlassen. Solche brutalen Eingriffe in Privates sind es, die es den meisten Bürgerrechtlern bis heute unmöglich machen, die „kommode Diktatur“ anders als grauenvoll zu erinnern. Wo andere von dem Staat abgetrotztem Individualismus schwärmen, von illegalen Galerien, wilden Gelagen in Ostberliner Hinterhöfen, hat die Stasi bei diesen Leuten Ernst gemacht. Sie waren über dreißig, sie wollten sich nicht mehr arrangieren. Und das System nicht mehr mit ihnen.
Beate Harembski hatte zu dieser Zeit Ostberlin verlassen. Sie lebte in Mecklenburg ein Nischendasein wie so viele, gärtnerte in einer Lungenheilanstalt. Hat pikiert, umgetopft, Absenker gezogen, gewässert, gegraben, wollte nicht ausreisen – und ist an ihrer Unfreiheit fast erstickt. Passiert ist ihr Gott sei Dank nichts Schlimmeres. „Der 9. November 1989 war für mich lebensrettend“, sagt sie.
Wenn sie heute durch einen der 25 Privatgärten führt, zu denen sie ihren Kunden Zugang verschafft, spürt man ihre Liebe zu allem, was da wächst und blüht. Und den Wunsch, ihren Gästen etwas einzuimpfen von jener Sorgfalt und dem Bedacht, mit denen sie selbst inzwischen ihr Leben bestellt. Sie hebt dann an zu schwärmen, erklärt die Blattstruktur der Blutbuche, lobt die Blüte der Samthortensie, zollt dem Giersch – der Unkrautpest jedes Gartens – Respekt für seine Zähigkeit. Hin und wieder gerät sie ins Stocken: Ihr fällt wohl wieder ein, dass dies hier ein Job ist. Ihr Ton wird dann überraschend sachlich, und sie sagt Sätze wie „ ‚Nie gesehene Gärten‘ empfiehlt jedem die Anlage eines Teichs.“
Klar, die Frau muss schließlich leben von ihrem Geschäft. Wie sie das tut, ist es folgerichtig und gerecht: mit Mann und 15-jährigem Sohn in einer hundert Jahre alten Villa, in einer abgeschiedenen Straße mit dem passenden Namen Fliederweg. Vor der Tür zum Wintergarten scharren die Hühner, abends quaken im Teich die Frösche, und im Gewächshaus stehen die uralten Sukkulenten aus dem Ostberliner Tierpark. „Alles hier hat eine Geschichte“, sagt sie. Es ist ihre eigene.
Nach der Wende hat sie noch einmal neu angefangen. Sie hat studiert, Erziehungswissenschaften, da war sie 34. Anschließend wollte sie in der politischen Bildung arbeiten. Sie paukte, bekam ein Kind, restaurierte das alte Haus im Brandenburgischen. Als sie 2003 ihr Diplom hatte, war es zu spät. Es gab keine Stellen mehr, die Netzwerke waren längst fest geknüpft – ohne Beate Harembski, die ja eigentlich die Geschichte selbst mit gestaltet hatte, die es zu vermitteln galt.
Sie war traurig, wohl auch wütend. Dann besann sie sich auf das, was sie noch immer am besten kennt: den Garten als besonderen Ort. Hinter Zäunen und Hecken verborgen, ein „intimer Platz“, der jedem seine Geschichte erzählen kann, der aufmerksam schaut. Frau Harembskis Teich ist mit Katzenkopfpflaster aus dem Prenzlauer Berg gefasst. Wo er früher lag, auf der Schönhauser Allee, jagten im Herbst 1989 Polizisten Demonstranten. Heute ist die Straße glatt und sauber asphaltiert.
ANJA MAIER, 40, leitet das Reportage-Ressort der taz. In ihrem Garten wachsen auf sandigem Boden Kräuter, Gräser und Stauden