„Echte Fans sind keine Busenwunder“

Schauen Frauen wirklich anders Fußball? Ja, meint die Ethnologin Almut Sülzle – und zwar mit immer mehr Fachwissen. Warum sich die Geschlechterklischees trotzdem halten

INTERVIEW HEIDE OESTREICH

taz: Frau Sülzle, laut Statistik gucken etwa gleich viele Frauen wie Männer Fußball. Aber die Frauen dürfen nicht mitreden, stimmt’s?

Almut Sülzle: Ja. Man kommt als Frau eigentlich gar nicht zum Kommentieren. Wenn sich eine weibliche Stimme erhebt, hört schon keiner mehr hin: Da sagt eine Frau etwas, das kann nur Mist sein. Die Fußballautorin Nicole Selmer beschreibt ein schönes Beispiel: Sie kommt in einen Raum, in dem Männer Fußball schauen. Sie fragt: „Und, wer spielt?“ Die Männer verdrehen die Augen: O Gott, da kommt ein Mädchen. Dabei wollte sie wissen, wer in letzter Minute aufgestellt wurde.

Meine Privatthese wäre: Männer können machen, was sie wollen, Frauen, die „Jetzt spiel schon!“ schreien, sind peinlich.

Ja, das wird als Anbiederung verstanden. Fußball, das haben die Medien im Vorfeld der WM ja pausenlos so inszeniert, bedeutet, dass Männer den Frauen erklären, was überhaupt los ist auf dem Feld. Das hat die Situation noch mal verschärft.

Kanzlerin Merkel hat der Mannschaft mitgegeben, dass sie es den Frauen gleichtun soll und die WM gewinnen. Markiert das einen Wendepunkt zu mehr Frauenpräsenz im Fußball?

Nein, das ist kein Wendepunkt. Merkel musste ja auch in Bild das Abseits erklären. Man traut ihr also keine Kompetenz zu. Frauenfußball mit Männerfußball zu vergleichen ist auch ohnehin schon falsch.

Finden Sie das falsch, oder besagt das der herrschende Fußballdiskurs?

Beides. Männerfußball ist ja nicht einfach ein Spiel um einem Ball.

Nicht?

Nein, da ist eine Geschichte und ein Publikum dabei, der Männerfußball hat einen wichtigen Stellenwert in der Gesellschaft, den der Frauenfußball einfach nicht hat.

Aber früher hätte man Politikerinnen gar nicht nach Abseitsregeln gefragt, das wäre einfach absurd gewesen. Hat sich da nicht doch etwas geändert?

Frauen und Fußball, das ist ein großes Thema geworden, das stimmt. Aber etwa die Werbekampagne zur Rückkehr der „Sportschau“ hat pausenlos Geschlechterklischees bestätigt: Am Samstagabend dürfen Frauen das Wohnzimmer nicht betreten, was die Frage aufwirft, wie dann das Bier vom Kühlschrank bis zum Sofa kommt. Wenn dann Frauen zu Wort kamen, redeten sie darüber, dass sie endlich wieder schöne Männerbeine sehen wollten: „Boygroup Bundesliga“. Das hieß, das Einzige, was Frauen an Fußball zu interessieren hat, sind durchtrainierte Körper. Zur selben Zeit wurden die Frauen Weltmeisterinnen.

Wie passt das zusammen?

Ich interpretiere das so, dass die bisher geltende selbstverständliche Gleichsetzung von Fußball und Männlichkeit mit der Thematisierung in dieser Werbung gegen eine Invasion vom Rand, die Fußballerinnen, verteidigt werden sollte.

In den Medien werden Frauen im Fußball gern als Ornament inszeniert. Wenn der eine Ball nicht mehr hüpft, dann hüpfen die anderen Bälle. Ist das lustig oder gemein?

Die Kamerafahrt in den Ausschnitt gehört zur Halbzeitpause immer dazu. Ich finde es nicht lustig. Es passt aber zum Fußball, ein gewisser Sexismus gehört dazu, da kann man mal was ausleben, was man sonst nicht kann und darf. Wenn eine Frau Teil dieser Fankultur ist, dann nimmt sie an dieser Provokation der feministisch korrekten Gesellschaft Teil und sagt: Ach, das seh ich nicht so eng.

Um sich als Kumpel zu etablieren? Sie selbst würde ja wohl kaum das T-Shirt lüpfen, oder?

Nein, Frauen, die als Fans ernst genommen werden wollen, tun das auf keinen Fall. Sie regen sich eher über die halb nackten Cheerleader im Stadion auf. Die Geschlechtergrenze wird sozusagen verlegt.

Wie? Als was gehen die Frauen denn in die Stadien?

Als echter Fan, Komma, weiblich. Erst kommt der Fan, dann das Geschlecht. Sie sind wegen des Fußballs gekommen; sie wollen Teil einer Masse sein und nicht als Busenwunder herausstechen. Die Groupies sind eine andere Gruppe. Das sind die, die am Zaun stehen und Fußballer sammeln wie die Jungs Fußballbildchen. Sie werden von den echten Fans abgelehnt, weil sie genau dieses Klischee ins Stadion bringen. Die „echten“ weiblichen Fans genießen es aber gerade, im Stadion ein paar Stunden Urlaub von Weiblichkeitsklischees zu haben.

Und was ist man, wenn man nicht weiblich ist?

Dann ist man eine Frau, die sich auch mal männlich verhalten kann, die diese Aspekte ausleben kann.

Eine Frau mit Eiern, um im Jargon zu bleiben?

Zum Glück sprechen wir ja jetzt keinen Jargon.

Wenn die Medien sich auf die Groupies stürzen, fallen die „echten Fans“ gar nicht mehr auf. Ist das gut oder schlecht?

Für sie ist das eher gut, denn die Medien würden sie immer als Frauen im Stadion herausstellen, und daran haben sie einfach kein Interesse.

Kann man auch normale Frau sein, Sexismus doof finden und Fußballfan sein?

Ja, das ist sogar ganz einfach. Und wer es lieber in Gesellschaft tut, für den gibt es ja auch noch weibliche Fanclubs. Die schaffen die Synthese von Dingen, die eigentlich nicht zusammengehen. Man kann eigentlich nicht in Rosa gekleidet Fußballfan sein: Genau das schaffen diese Fanclubs aber, indem sie es ironisch aufgreifen.

Wie sieht das aus?

Schon die Namen werden ironisiert: Da gibt es die „Titten auswärts“. die „Hooligänse“ oder die „Tivoli-Tussen“. In Köln etwa gibt es die „Uschifront“. Deren Website sieht aus, wie aus dem Barbie-Baukasten: rosa mit glitzernden Sternchen. Die Texte sind aber perfekt in der gängigen Fußballer-In-Sprache verfasst, mit dem richtigen Faktenwissen und so weiter. Ihre Blockfahne ist aber wieder knallrosa. Als Accessoires für die Männer im Umfeld haben sie Unterhosen bedruckt, auf deren Hinterteilen der Schriftzug „Uschifront“ steht, das Groupietum wird also ironisch umgedreht.

Wenn Fußball so stark mit Männlichkeit konnotiert ist, wie passt denn der aktuelle Trend zum Frauenfußball da hinein?

Frauenfußball ist etwas anderes. Es ist so, dass Fußball zur Konstruktion der Männlichkeit dazugehört. Männlichkeit ist Fußball, und zwar ganz unabhängig davon, dass 50 Prozent der Männer sich nicht für Fußball interessieren. Nur sehr langfristig könnte sich etwas ändern. Wenn mehr Mädchen Fußball spielen, dann ist das nicht mehr eine ausschließlich männliche Erfahrung, dadurch könnte sich langsam etwas ändern. Die Sportwissenschaftler, die ich auf Tagungen treffe, beginnen ihre Vorträge gern mit Jugenderinnerungen ans Fußballspielen, bis eine gemeine Verletzung sie daran hinderte, Profispieler zu werden. An solchen Diskursen nehmen Frauen in der Regel nicht teil.

Und Sie selbst? Haben Sie Fußball gespielt?

Ich habe erst jetzt angefangen, mit meinem Patenkind zu kicken. Es macht Spaß, das kann ich sagen. Ich bin allerdings auch noch besser als er.

Und wer wird Weltmeister?

England gewinnt gegen Holland nach Verlängerung.