: An der Olivenriviera
An der türkischen Westküste hat der Massentourismus noch nicht zugeschlagen. Dafür bedroht die Goldindustrie die Stube der Antike. Der Club Orient engagiert sich für die Gäste und die Umwelt
von CHRISTINE BERGER
Wenn Hotelier Jochen Lemke hinter dem Steuer seines Wagens sitzt, ist er auf alles gefasst. „Killermaschinen“ nennt er etwa die völlig überladenen Heutransporter, die von den Bergen der Olivenriviera im Westen der Türkei hinab zur Küste schießen. Regelmäßig gibt es Unfälle auf der Straße nach Assos am westlichen Ende des Bay of Edremit. Hierher fährt Lemke seine Gäste gern wegen der grandiosen Aussicht auf die griechische Insel Lesbos, vor allem aber wegen der Antike. Aristoteles hat hier drei Jahre lang (348–345 v. Chr.) in einer Philosophenschule gelehrt. Heute stehen die zumeist älteren Einheimischen mit handgemachtem Schmuck und Souvenirs am Straßenrand, um den Touristen auf den Spuren der Geschichte ein paar türkische Lira abzuknüpfen. Die Akropolis mit den Resten des Athena-Tempels beeindruckt besonders durch ihre Lage über der Meerenge, die früher ein idealer Ausguck zum Orten von Schmugglern, Piraten und feindlichen Gesandtschaften gewesen sein muss. Auch eine Moschee steht hier oben, die Mauern beherbergten zu früheren Zeiten eine christliche Kirche, Zeugnis einer Gegend, die ständig zwischen Orient und Okzident hin- und herschwankte, bis die Osmanen 1330 Schluss machten mit der Identitätskrise.
Assos ist heute so türkisch, wie das Essen unten am Hafen griechisch sein könnte. Eingelegte Gemüse, Dorade mit Salat, dazu türkischer Weißwein und zum Schluss ein himmlisches Eis in einer frisch gebackenen Waffel. Dazu geht die Sonne unter, und das Meer spiegelt dieses magische Blau, das jeden Fotografen zur Verzweiflung bringt. Jochen Lemke ist seit zwanzig Jahren in Ören zu Hause. Dort hat er gemeinsam mit seiner Frau Birsel ein Hotelresort aufgebaut, wie es weit und breit seinesgleichen sucht. Ein Paradies vor allem für deutsche Urlauber mit exotischem Palmengarten, hübschem Sandstrand und einem riesigen Pool, der gleichzeitig als Mittelpunkt des Restaurants und Barbetriebs dient.
Während die Gäste abwechselnd in die Wellen des Meeres und Fluten des gekachelten Atriums eintauchen, telefoniert Birsel vielleicht gerade mit Tokio oder mit Umweltgruppen aus Deutschland. Die 56-Jährige hat 2000 den Alternativen Nobelpreis bekommen für ihr Engagement an der Olivenriviera. Internationale Konzerne wollten und wollen immer noch im großen Stil die Berge umbuddeln und mittels hochgiftigem Zyankali Gold schürfen. Doch bislang konnten die Politologin Birsel und Umweltaktivisten der Region das Schlimmste verhindern. „Die Bedrohung ist eine andere geworden“, so Jochen Lemke. Wurden die Goldgegner noch vor zehn Jahren mit Leib und Leben wegen ihrer Aktivitäten bedroht, würden nun Intrigen geschmiedet, zuletzt etwa der Vorwurf, die Umweltschützer würden von deutschen Stiftungen unterstützt, damit der deutsche Goldhandel mit der Türkei davon profitiere.
Der Kampf für eine gesunde Umwelt wird auch am Hotelpool weitergefochten. Neulich war ein bekannter Uhrmacher aus Deutschland zu Gast im Club Orient. Die Lemkes haben so lang auf ihn eingeredet, bis er versprach, nur noch recyceltes Gold für seine Uhren zu verwenden, immerhin fünfzig Kilo jedes Jahr. „Das gibt es zur Genüge“, weiß der Hotelier.
Von ausländischen Touristen profitiert die Region bislang kaum. Reihenweise haben sich wohlhabende Türken Ferienhäuser und Zweitwohnungen an der Küste zugelegt, die höchstens zwei bis drei Monate im Jahr bewohnt werden. Hotels mit internationalem Standard gibt es nur wenige. Nach jahrelangem Schielen an die Südküste nach Antalya und dem Wunsch, den dortigen Massentourismus einfach zu kopieren, möchte man nun auf Qualität setzen. „Kulturtourismus“ ist das Zauberwort, das den Bürgermeister der nächstgrößeren Kreisstadt Burhaniye umtreibt. Er möchte gerne mehr Urlauber von der Sorte anlocken, die bei den Lemkes im Club Orient absteigen. Nur wie?
Jochen Lemke stöhnt. Schon oft habe er den politischen Entscheidern angeboten, sein Konzept zu kopieren. Doch bislang hat sich kein Investor dafür gefunden. Seine Zielgruppe: Deutsche und türkische Urlauber mit Kindern, die an Land, Leuten und Geschichte der Region interessiert sind. Die Ausflüge, die er wöchentlich anbietet, sind jeweils gut gebucht. So fährt etwa fast die Hälfte seiner rund 120 Gäste mittwochs zum 80 Kilometer entfernten Pergamon, um sich dort die Reste der Ausgrabungen anzuschauen. Als besonderes Zuckerl gibt es hinterher noch eine Besichtigung der neuesten Ausgrabungsstätte in Allianoi, wo ein riesiges römisches Thermalbad drei Meter unter der Erde entdeckt wurde. Gerade noch rechtzeitig bevor es in einem neuen Stausee für immer verschwunden wäre. Händeringend werden Gelder gesucht, da der türkische Staat kein besonderes Interesse an dem Fund zeigt und bislang wenig für die Rettung der Anlage getan hat.
Auch Troja steht einmal in der Woche auf dem Ausflugsprogramm des Resorts. 110 Kilometer entfernt vom Hotel tummeln sich dort täglich hunderte Touristen und versuchen in den paar antiken Resten zu sehen, was nicht mehr zu sehen ist. Zum Trost zeigen die Lemkes abends die neueste Troja-Verfilmung mit Brad Pitt in der Hauptrolle.
Beeindruckend ist ein Wanderausflug in die sagenumwobenen Idaberge, die sich entlang der Bucht von Edremit bis in 1.700 Meter Höhe schwingen. Von dort, so heißt es bei Homer, habe Zeus die Kämpfe um Troja verfolgt. Wer möchte, kann sich im Club Orient auch auf dem hauseigenen Gemüseacker betätigen und dort zusammen mit einem Bauern säen und ernten, Mistgabel und Gartenhandschuhe inklusive.
Nur die Teilnehmerliste für den Yachtausflug an der Rezeption braucht länger, um sich zu füllen. Vielleicht wegen der Kinder, die Gäste des Hotelresorts in großer Zahl mitbringen. Vielleicht aber auch, weil das Rumlungern auf einer Yacht einfach nicht so richtig zum Konzept der Lemkes passen will.