Nord-Süd-Dialog im Äther

KINDERMEDIEN Vom Berliner Wedding in die weite Welt: Das Kinderradio „Radijojo“ ist auf allen Kontinenten mit Austauschprojekten aktiv

Radijojo „World Children’s Radio Network“, Haus der Jugend, Reinickendorfer Str. 55, 13347 Berlin, Tel. (0 30) 28 04 17 95, E-Mail: redaktion@radijojo.de, www.radijojo.de.

Anna-Lindh-Schule, Guineastraße 17, 13351 Berlin, Tel. (0 30) 45 30 75 30, E-Mail: anna-lindh-schule.cids@t-online.de, www.annalindh.cidsnet.de. „World Summit on Media for Children and Youth“ in Schweden, E-Mail: info@wskarlstad2010.se, www.wskarlstad2010.se.

VON OLE SCHULZ

Es ist eine schlechte Telefonverbindung, es rauscht, knackt und knistert. Aber die 24 Schüler der 4a der Anna-Lindh-Grundschule im Berliner Wedding lauschen dennoch wie gebannt, um doch das ein oder andere englische Wort aufzuschnappen. Am anderen Ende der Leitung bemüht sich die Direktorin der Grundschule im nigerianischen Obada-Oko, die Fragen der Berliner Schüler deutlich zu beantworten: Können in Nigeria alle Kinder zur Schule gehen? Und haben sie ausreichend Schulmaterialien? Zwischendurch hört man einige tausend Kilometer entfernt einen Hahn krähen.

Als die Direktorin Olaide Yusuf mitteilt, dass sich rund 250 Kinder aus Obada-Oko in der sengenden Mittagshitze um das Telefon drängen, um die Fragen der Weddinger Schüler zu beantworten, ist die Verblüffung bei den Berliner Kids groß.

Weil man in Nigeria den Anruf aus Deutschland dermaßen wichtig nimmt, vergessen die Weddinger Schüler sogar, dass eigentlich eine Skype-Videokonferenz zwischen Deutschland und Nigeria geplant war. Doch in Obada-Oko, einer ländlich geprägten Kleinstadt im Westen Nigerias, hat man es nicht geschafft, eine Internetverbindung einzurichten. Elektrizität gebe es nur in der Nähe der Hauptstraße, berichtet Schuldirektorin Yusuf, und eine öffentliche Trinkwasserversorgung gar nicht. Viele Kinder hier gehen nicht zur Schule, weil sie ihren Eltern bei der Arbeit helfen müssen.

Es ist der zweite Tag einer Projektwoche des Kinderradio-Netzwerks „Radijojo“ in der Klasse 4a im Berliner „Problembezirk“ Wedding. Die gemeinnützige Kinderradio-Plattform ist spezialisiert auf Nord-Süd-Kooperationen: In gemeinsam gestalteten Radiosendungen tauschen sich Kinder aus Deutschland mit Altersgenossen im Ausland über ihren Alltag, ihre Interessen und Träume aus. Auf der Website von Radijojo sind diese Features als Podcast abrufbar.

Einführung in die hohe Kunst des Radiomachens

„Wir sind auf allen Kontinenten mit Austauschprojekten aktiv und verbinden Kinder aus inzwischen über 100 Ländern“, sagt Radijojo-Gründer und -Chefredakteur Tom Röhlinger. Angefangen hat man 2003 im Berliner Wedding, wo man seither an Schulen in sogenannten sozialen Brennpunkten Kinder in die hohe Kunst des Radiomachens einführt. Im Laufe der Jahre kamen Kooperationen mit dem Ausland dazu, die mittlerweile den Schwerpunkt von Radijojo bilden.

Das Projekt an der Anna-Lindh-Schule gehört zur Sendereihe „Wir entdecken die Welt“ und wird von der InWEnt gGmbH gefördert, die für das Bundesentwicklungsministerium Bildungsprojekte durchführt. Neben einer Einführung in die internationale Entwicklungszusammenarbeit stehen die Themen Kinderrechte und UN-Millenniumsziele im Mittelpunkt.

An der Anna-Lindh-Schule konnte Radijojo an bestehende Kontakte anknüpfen: Der Sohn der Klassenlehrerin hatte im Vorjahr mit Kenny Sobiyi, einem befreundeten nigerianischen Kollegen, eine Spendenaktion in der Klasse begonnen. Schließlich wurden mit Hilfe des schulischen Fördervereins auch Spielzeuge und Schulmaterialien in Kennys Heimatstadt geschickt – nach Obada-Oko.

Fast zwei Drittel der Schüler an der Anna-Lindh-Schule haben ausländische Eltern, vor allem türkische oder arabische, in der 4a gibt es auch zwei Jungs, deren Vater aus Schwarzafrika kommt. Trotzdem können sich in der 4a fast alle erstaunlich gut auf Deutsch ausdrücken. Das habe mit dem besonderen Konzept der Anna-Lindh zu tun, sagt Schulleiter Thomas Leeb. „Seit einem Jahrzehnt fördern wir Hochbegabte.“ Auch in der Klasse 4a ist etwa ein Drittel der Kinder als hochbegabt eingestuft.

Die Mischung aus hochbegabten und normalen Schülern, in beiden Gruppen viele mit ausländischem Hintergrund, tue allen gut, sagt Thomas Leeb. Die Hochbegabten brauchten die Anbindung an die Realität, damit sie nicht abheben, und die anderen würden von den Schülern mit hohem IQ mitgezogen. „Wir praktizieren Inklusion und achten zugleich auf einen Unterricht, in dem sich die Kinder individuell entfalten können.“

Erinnerung an fragwürdige Helden des Kolonialismus

Dass das Radijojo-Projekt an der Anna-Lindh eine Kooperation mit Afrika ist, passt zur Schule. Denn sie liegt im „Afrikanischen Viertel“ Weddings. Hier tragen viele Straßen seit den Zeiten des Deutschen Reichs afrikanische Namen. Dass dabei auch an fragwürdige „Helden“ der deutschen Kolonialgeschichte erinnert wird, erfahren die meisten Kids erst in der Radijojo-Projektwoche. „Unsere Kinderreporter haben auch schon den Weddinger Bezirksbürgermeister gefragt, ob es nicht angebracht wäre, jene Straßen im Afrikanischen Viertel umzubenennen, die an Personen erinnern, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben“, sagt Tom Röhlinger.

Radijojo-Gründer Röhlinger ist mittlerweile in Schweden, wo der Weltgipfel für Kinder- und Jugendmedien stattfindet. „Beim letzten Gipfel vor drei Jahren in Johannesburg haben wir unsere wichtigsten Kontakte ins Ausland geknüpft“, so Röhlinger. Er freut sich auf das Treffen im schwedischen Karlstad. Dort geht es außer um die Förderung von Kindermedien auch um die Frage, wie Kinder Medienkompetenz erwerben können.

Einige Fachleute plädieren dafür, Kinder möglichst lange von den Medien fernzuhalten. Der Pädagoge Rainer Patzlaff etwa hält eine solche Abstinenz für sinnvoll: „Medienkompetenz entsteht nicht am Medium, sondern außerhalb des Mediums, sogar gegen das Medium.“ Kinder, so Patzlaff, müssten sich und ihre Umwelt erst körperlich erfahren, bevor man sie in die digitale Welt lasse.

Tom Röhlinger sieht die Frage pragmatischer und nennt Medien ein „tool for social change“, gerade in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung. Wichtig seien dagegen die Inhalte von Kindermedien, und gerade vor den kommerziellen Anbietern müssten Kinder geschützt werden. Sie würden „falsche Bedürfnisse“ wecken und den Kindern „wertvolle Lebenszeit“ rauben. Nichtkommerzielle Medien wie das werbefreie Radijojo müssten hingegen auf Spenden hoffen und sich von Projekt zu Projekt hangeln, weil sie keine institutionelle Förderung erhalten.

Auch an der Anna-Lindh-Grundschule gehört das Lernen mit den neuen Medien zum pädagogischen Konzept. Unter dem Motto „Der Unterricht muss sich öffnen, um weiterhin erfolgreich zu sein“ hat man hier seit Mitte der 90er Jahre damit begonnen, ein Konzept für einen computergestützten Unterricht zu entwickeln – PCs werden dabei nicht um ihrer selbst willen eingesetzt, sondern als Arbeitsmittel für konkrete Ziele. Bereits ab der ersten Klasse arbeiten die Kids in „kurzen Phasen“ an Computern.

Die Kinder der Klasse 4a sind jedenfalls schon ziemlich geschickt darin, im Internet Antworten für das „Afrika-Quiz“ im Rahmen des Radijojo-Projekts zu finden. Am Ende stellen die Schüler unisono fest, dass das Leben der Kinder in Afrika schwieriger zu sein scheint, als sie gedacht hätten. Ein Junge schlägt vor, im „Schulparlament“ zu einer zweiten Spendenaktion aufzurufen. Vielleicht könne man dieses Mal einige ältere Computer nach Obada-Oko schicken.