: „Vieles liegt an Psyche und Ernährung“
STÜTZE Krank durch Hartz IV? So sehen das die Betroffenen
VON HÜLYA GÜRLER
Armut ist der Mangel an lebenswichtigen Gütern wie Nahrung, Obdach, Kleidung. Sie hält Menschen in einem Teufelskreis aus schlechterer gesundheitlicher Versorgung, Krankheit und dadurch bedingter sozialer Isolation. Viele Arbeitslose, die die taz vor dem Jobcenter in Berlin-Wedding gefragt hat, haben psychische oder körperliche Probleme, die sie an der Aufnahme einer Arbeit und somit an der gesellschaftlichen Teilhabe hindern.
Etwa eine 55-jährige Alleinerziehende. Sie sagt, sie sei nicht wirklich krank. Auf Nachfrage aber stellt sich heraus, dass sie neben Depressionen, Rückenproblemen und Schlafstörungen „in allem eine Krise“ hat. Angefangen hat das vor vier Jahren, als ihre Kinder älter wurden. Vorher hatte sie als Mutter funktioniert, jetzt weiß sie nicht, was sie mit ihrer Freizeit anfangen soll. Alles sei überteuert, die Miete, das „schlechte“ Essen. Sie fühlt sich isoliert in ihrem Weddinger Umfeld, „das sind alles Ausländer“. Die Arzthelferin konnte vor Jahren kein Blut mehr sehen und stieg um auf Altenpflege. Dann bekam sie Bandscheibenprobleme, jetzt lebt sie von Hartz IV.
Eine 23-Jährige sagt, dass es ihr wesentlich besser ging, als sie nicht von Hartz IV leben musste. „Vieles kommt von der Psyche und der Ernährung.“ Anderthalb Jahre ist das her. Damals hatte sie Durchschlafstörungen und kam morgens nicht aus dem Bett. Statt Vollkornbrot kaufte sie die günstigeren Weißmehlbrötchen. Heute ist sie hier, um erneut Hartz IV zu beantragen.
Um seine Ernährung sorgt sich ein 55 Jahre alter Hartz-IV-Empfänger. Der Diabetiker bekommt wegen seiner Erkrankung Sonderzuwendungen, nun fragt er sich, ob sie ihm durch die Sparpläne der Regierung gestrichen werden. Reicht sein Geld nicht fürs Essen? „Man kann sich halt nicht so gesund ernähren, wie man sollte“, antwortet er.
Ein anderer fühlt sich „an den Rand der Gesellschaft gedrückt“. Der 55-jährige Automechaniker hat verschlissene Knie- und Fußgelenke. „Den Ärger über die Zustände habe ich geschluckt“, sagt er und zeigt auf seinen Bauch. Überhaupt sei er reizbarer geworden. Reicht ihm Hartz IV zum Leben? „Vor Jahren bin ich regelmäßig zur Vorsorge zum Arzt gegangen.“ Doch heute schreckt ihn die Praxisgebühr ab.