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Archiv-Artikel

„Ich tu mir sowieso immer weh“

PRIVATE VIEWING Deutschland – Serbien mit Lars Eidinger, „Polizeiruf 110“-Star, an der Berliner Schaubühne. Er trötet schwarzrotgold – und mag deutschen Nationalstolz trotzdem nicht

Lars Eidinger

■  34, ist ein deutscher Theater- und Filmschauspieler. Seit zehn Jahren gehört er dem Ensemble der Berliner Schaubühne an. Einem breiteren Publikum wurde er durch seine erste große Filmrolle in Maren Ades Spielfilm „Alle anderen“ (2009) bekannt. Der Kinostreifen wurde bei der Berlinale mit zwei Silbernen Bären ausgezeichnet. Nebenbei ist Eidinger als Dozent an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ tätig und als Musiker und DJ aufgetreten. Neuerdings ist er in der TV-Serie „Polizeiruf 110“ zu sehen, wo er als Kommissar Lars Reiter in München ermittelt.

VON INES KAPPERT

Die Theaterproben zum „Menschenfeind“ werden unterbrochen, Deutschland spielt, auf die Schaubühnenleute wartet der Fernseher schon im Café. Lars Eidinger kommt kurz nach dem Anpfiff angerannt, noch im Kostüm. „Also das ist ganz wichtig“, sagt er gleich zu Anfang, „das müssen Sie schreiben: FC Stern Marienfelde, das war mein Verein von ungefähr 11 bis 18 Jahre. Und wir waren richtig gut, auch mehrmals Berliner Meister. Dabei hatten wir nur einen Schotterplatz, kein Rasen oder so etwas, und auch kein Netz im Tor. Heißt: Egal ob man getroffen hat oder nicht, man musste immer den Ball holen.“

Eidinger hat als Einziger eine Vuvuzuela dabei, in Deutschlandfarben, mit der er sich sofort unbeliebt macht. Eine Hundebesitzerin verwehrt sich energisch gegen jedes Getröte. Eidinger gibt nach. Vorerst. Fußball hat immer dazugehört, klar. In der Jugend, auch später. Er hat in der Schaubühnenmannschaft gekickt, ebenso in der Mannschaft von X-Film. Aber nachdem er jetzt mit zunehmendem Erfolg ständig Verträge unterschreiben muss, die ihm eine Sportart mit „Vollkontakt“ verbieten, geht das blöderweise nicht mehr. „Wenn man beim Fußball gewinnen will, muss man sich wehtun“, erklärt er. „Und ich tu mir sowieso immer weh, auch beim Theater.“

Und welchen Preis fordert die Prominenz noch? Solange ihn die grobe Masse nicht kennte, wäre alles in Ordnung. Zum Beispiel in seiner Rolle als Kommissar beim „Polizeiruf 110“, da denken die Leute: Ah, der Hamlet von der Schaubühne spielt den Kommissar – und nicht umgekehrt. „Solange das so bleibt, bin ich zufrieden.“

Als Kommissar verkörpere er wie auch in der Hauptrolle des Kinofilms „Alle Anderen“ von Maren Ade eine andere, neue, weibliche Männlichkeit, frage ich nach. Mich faszinieren gebrochene Männerfiguren, die Eidinger so gerne spielt. Er ist cool, er haut auch mal zu, gleichzeitig ist er das Lustobjekt, er zieht sich aus (nicht sie), er ist sportlich, klar hetero und trotzdem zart. Vor allem hat er Humor. Seine Partnerin hingegen ist Exbundeswehroffizierin, sie vertritt das Militär und die Disziplin. Was reizt ihn an diesen anderen Männern? Ja, die Mann-Frau-Sache, sicher. So richtig überzeugt ihn meine Interpretation nicht. Wichtig ist ihm vielmehr, die Fehlbarkeit von Menschen zu verkörpern. Das zähle. Der Kommissar etwa ist sympathisch und trotzdem rassistisch, der ist einfach nicht okay. Diese Sehnsucht der Zuschauer nach der perfekten Person zu durchbrechen, das ist das, was Eigner interessiert.

Das erste Gegentor fällt und der Einsneunzigmann haut die Tröte auf den Tisch.

Als der Elfmeter für die Deutschen gegeben wird, brüllt Lars Eidinger: „Links unten!“

Warum eigentlich eine schwarz-rot-goldene Vuvuzuela? Ah, die ist von meiner dreijährigen Tochter, Eidinger grinst, wird dann ernst und erzählt, wie eben seine Tochter im Supermarkt auch die Deutschlandfahne haben wollte. Die sie nicht gekriegt hat, „natürlich“. Diese Unbedarftheit bei den Jüngeren, aber sie ist auch ein Problem. Nein, eigentlich findet er, dass die Deutschen sich diesen ganzen Nationalstolz verkneifen sollte. Fahnen aus dem Fenster zu hängen: Als Deutscher sei das einfach gar keine gute Idee. Nicht dass er den Leuten, die das machen, Nationalismus unterstellte, überhaupt nicht. Aber es gebe aufgrund der Geschichte eine Symbolik, der man einfach nicht entkommt. Für sie gelte es Verantwortung zu übernehmen. Sehr angenehm hingegen sei es, dass das Image der Deutschen im Ausland inzwischen so viel besser ist. Dank der Popkultur, Techno, elektronischer Musik wie von Kraftwerk, Berlin als kreative Stadt – das hat die Deutschen beliebt gemacht. Und es entlaste, wenn man gerne sagt, dass man aus Berlin kommt, einfach, weil man weiß, dass das ankommt.

Als der Elfmeter gegeben wird, brüllt er: „Links unten!“ Aber Podolski schießt nach rechts unten, herrje. Jetzt verlieren sie ja, sagt er, aber bis jetzt hatte ich schon gedacht, dass die Deutschen gewinnen können. Gerade weil sie jung sind, weil sie zusammenspielen, es keine internationalen Stars gibt, weil Ballack nicht dabei ist. Der ist mir auch einfach zu doof, setzt er mit leichtem Kopfschüttelnd hinzu. Die Jungs hingegen, die sind ein Team, und ich finde sie eher sympathisch.

Vielleicht ist das die einzige Verbindung zwischen Theater und Fußball, setzt er nach, dass es dieses Ideal gibt vom Zusammenspielen. Die Deutschen glänzen weiter nicht, und Lars Eidinger greift zur Tröte, um die Stimmung etwas aufzulockern.