IN DER WEIMARER REPUBLIK WAR SEIN URTEIL GEFÜRCHTET; DER TRANSIT VERLAG HAT DIE 20ER-JAHRE-FEUILLETONS DES KRITIKERS PAUL MARCUS („PEM“) NEU AUFGELEGT
: Die Zeit zwischen den Kriegen

Berlin auf Blättern

VON JÖRG SUNDERMEIER

Er wurde rechtzeitig gewarnt, 1933 kurz nach dem Reichstagsbrand, und konnte daher gerade noch fliehen. Der nicht gläubige jüdische Journalist Paul Marcus, der seine Artikel oft mit dem Kürzel PEM zeichnete, entkam den Nazis und landete schließlich in London. Er überlebte, anders als einige seiner Familienmitglieder, den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust.

Marcus war in der Weimarer Republik binnen kürzester Zeit zu einem der begehrtesten Journalisten Berlins aufgestiegen. Sein Spott war gefürchtet, um seine Zuneigung buhlte man. Wenn er jedoch über eine Künstlerin oder einen Schauspieler nicht schrieb, so war zu fragen, ob sie oder er überhaupt von Bedeutung waren. Man grüßte ihn, wenn man ihn nicht näher kannte, oft als „Herrn Pem“. In der Emigration dann gab er „Pem’s Private Bulletins“ heraus, eigenhändig vervielfältigt, ein wöchentlicher Nachrichtendienst für all die Emigrierten. Er berichtete darin – oft humorvoll – über das Schicksal seiner Freunde Egon Erwin Kisch, Max Herrmann-Neiße oder Gabriele Tergit und hielt so gewissermaßen die Exilierten zusammen.

Nach dem Krieg wurde er britischer Staatsbürger, schrieb aber auch wieder für deutsche Zeitungen. Doch trotz vieler Artikel und einiger Bücher war PEM, der 1972 starb, weitgehend vergessen. Erst in den letzten Jahren wird er wieder wahrgenommen. 2009 erschien ein Buch mit seinen besten Filmkritiken und Feuilletons, nun ist das Buch „Zwischen zwei Kriegen“ erschienen, das Marcus selbst bereits 1952 veröffentlichte, unter dem von ihm missbilligten Titel „Heimweh nach dem Kurfürstendamm“. Das Buch war seinerzeit ein Bestseller – weil Marcus detailreich beschrieb, wie es war im Berlin der 20er Jahre, und weil er es weitgehend vermied, darüber zu sprechen, was auf diese wilde Zeit folgte, auch um all die Ermordeten und in den Tod getriebenen Freunde lebendig zu halten.

Die Texte von PEM haben dabei nichts von ihrer Frische verloren, sie sind amüsant, scheinbar leichthin geschrieben und verraten doch große Meisterschaft. Wenn PEM am Beispiel seines Bruders über den Boxsport schreibt, dann über den Radsport und schließlich über das Reiten, entwirft er, wie nebenher, ein detailliertes Porträt des Sportpalastes, in dem die Wettkämpfe stattfanden – der dann wiederum als Beispiel für die vielen anderen Berliner Großspektakelstätten herhalten muss.

In dieses erinnerte Berlin nun setzt Marcus seine Freundinnen und Freunde und beschreibt, was sie alle anstellten, wobei er sich selbst ganz diskret zurücknimmt. Wenn er die Karriere des jungen Billy Wilder beschreibt – der zunächst nicht einmal Billy hieß –, so erzählt er, als habe er Wilder lediglich beobachtet. Schreibt er über die Gründung seiner stets klammen Kabarettbühne „Die Unmöglichen“, so erinnert er zugleich und ohne großes Aufhebens an den Schöneberger Toppkeller, ein damals gern von Lesben frequentiertes Lokal. Paul Marcus zeichnet die zwanziger Jahre ohne Melancholie nach, zeigt lediglich, was hätte sein und bleiben können, hätten sich die Deutschen nicht für die NSDAP entschieden. Und wie er das macht, ist mitreißend und im besten Sinne geistreich.

■ Paul Marcus: „Zwischen zwei Kriegen“. Herausgegeben von Inka Bach. Transit Verlag, Berlin 2013, 200 Seiten, 19,80 Euro

■ Jörg Sundermeier ist Verleger des Verbrecher Verlags