: Mit Engelszungen sprechen
URBANE RITEN 600 Millionen Anhänger hat die Pfingstbewegung, die das Zungenreden pflegt. Aernout Miks Videoinstallation „Speaking in Tongues“ im Haus der Kulturen der Welt erzählt von dieser religiösen Praxis
VON TILMAN BAUMGÄRTEL
„Und als der Pfingsttag gekommen war, waren die Apostel alle an einem Ort zusammen. Und es kam plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer. Und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie es sie der Heilige Geist auszusprechen vorgab.“
So steht es im Neuen Testament bei Lukas 2, Vers 1 bis 4. Die Apostel waren zum jüdischen Wochenfest zusammengekommen, als der Heilige Geist in sie fuhr. Dieses Datum – 50 Tage nach dem Ostersonntag – wird in der christlichen Tradition als Gründung der Kirche verstanden und heute als Pfingstsonntag gefeiert. Während in der deutschen Kirche – protestantisch wie katholisch – das Zungenreden, das der Anlass für diesen Feiertag war, heute keine Rolle mehr spielt, haben sich in anderen Teilen der Welt ganze Religionsgemeinschafen um diese Erfahrung herum organisiert: die Pfingstkirchen, die sich Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA entwickelten.
Interessanterweise verbreitete sich diese religiöse Praxis ab 1900 schon in den damals noch streng segregierten USA sowohl in der weißen als auch der schwarzen Bevölkerung. Für die Anhänger hatte das erregte Zungenreden nichts mit Ekstase oder Trance zu tun. Zungenreden während eines Gottesdienstes ist ein Zeichen dafür, dass der Beter vom Heiligen Geist erfüllt und in die Gemeinschaft aufgenommen worden ist. Das Reden „mit Engelszungen“ ist also eine Art Taufe. Daraus entwickelte sich in den 60er Jahren die charismatische Bewegung, bei der auf besondere Weise vom Heiligen Geist durchdrungene Prediger ihre Publikum in den Zustand versetzen, der zum Zungenreden führt.
Daraus ist mittlerweile eine globale Bewegung von erstaunlichem Ausmaß geworden, wie die Videoinstallation „Speaking in Tongues“ des holländischen Künstlers Aernout Mik zeigt, die derzeit im Haus der Kulturen der Welt zu sehen ist. Entstanden ist die Schau für die Veranstaltung Global Prayers, eine Konferenz über „gegenwärtige Manifestationen des Religiösen in der globalen Stadt“. Mik hat sich als Thema sicher eine der eindrucksstärksten Formen der Religionsausübung herausgepickt, die heute international zu beobachten sind. 2006 sollen sich weltweit knapp 600 Millionen Menschen als Anhänger der pfingstlich-charismatischen Bewegung verstanden haben. Sie gilt als die weltweit am schnellsten wachsende religiöse Bewegung, besonders in Afrika, Lateinamerika und Asien findet sie in rasendem Tempo neue Anhänger. Eine transnationale und transkulturelle Religion also.
Mik hat Pfingstgottesdienste in Brasilien und Nigeria gefilmt. Die Aufnahmen werden unkommentiert auf einer langen Reihe von Monitoren im Souterrain des Haus der Kulturen der Welt gezeigt. Man sieht zum Teil bizarre Gestalten ihre Show abziehen, auf der Bühne von Konferenzhallen oder gigantischen Zeltkonstruktionen vor riesigen Auditorien wie Rumpelstilzchen herumspringen, gestikulieren, Fäuste ballen, ins Mikrophon brüllen. Das Publikum – oft erstaunlich gut angezogene, bürgerlich wirkende Menschen – geht mit, bis hier und da jemand vom Heiligen Geist überwältigt wird und beginnt, herumzuhüpfen, den Kopf zu schütteln und vor sich hin zu reden. Gelegentlich brechen besonders Inspirierte in sich zusammen oder wälzen sich auf dem Boden. Dazwischen gehen smart angezogene junge Männer mit Klingelbeuteln an langen Stäben durch die Reihen und sammeln Geld ein.
Mik geht es in der Arbeit um die Verbindung dieser Gottesdienste zu der Inszenierungspraxis von Konzernveranstaltungen, Aktionärsversammlungen oder Roadshows vor dem Börsengang. Um diese Parallelen aufzuzeigen, hat er im Haus der Kulturen der Welt zwei fiktionale Wirtschaftskonferenzen inszeniert, bei der sich die Redner wie Pfingstprediger gerieren und die ebenfalls als Video gezeigt werden. Es wird ein iPhone-artiges Produkt vorgestellt, das beim Publikum ekstatische Reaktionen auslöst. Ganz klar wird das nicht, denn „Speaking in Tongues“ wird ohne Ton gezeigt. Was genau die frohe Botschaft ist, die da solche beseelten Reaktionen auslöst, erfährt man nicht, hat gleichzeitig aber die Gelegenheit, sich ganz auf die visuelle Inszenierung mit multimedialem Bühnenzauber und tobenden Prediger-Performern zu konzentrieren.
■ Bis 21. Januar, Haus der Kulturen der Welt