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TÜRKEI: HOHE HAFTSTRAFEN FÜR HANDLANGER DES STAATSTERRORISMUSKein Sieg für den Rechtsstaat

Erstmals in der Geschichte des türkischen Kampfes gegen die kurdische PKK sind zwei Geheimdienstoffiziere verurteilt worden, weil sie selbst terroristische Methoden angewandt haben. Terror gegen Terror war in den 90er-Jahren in der Türkei weit verbreitet, und der Einsatz staatlich besoldeter Terrortrupps gegen tatsächliche oder vermeintliche Unterstützer der PKK ist bis heute nicht wirklich aufgeklärt. Dagegen ist das gestrige Urteil von Van ein eindeutiger Fortschritt. Das Gericht ließ sich nicht auf die sonst oft übliche Verschleppungstaktik ein, wenn es gegen Militärs oder Polizisten geht, sondern behielt die Beschuldigten in Untersuchungshaft und kam zügig zu einem in dieser Höhe einmaligen Urteil. Damit wurde ein klares Signal gegen den „schmutzigen Krieg“ der Geheimdienste gesetzt.

So weit, so gut. Ob hier allerdings wirklich eine unabhängige Justiz zu einem streng nach dem Buchstaben des Gesetzes gefällten Urteil gekommen ist, darf trotzdem bezweifelt werden. Zu viele politische Interessen waren mit dem Prozess verknüpft. Ein wirklicher rechtsstaatlicher Prozess hätte versuchen müssen, die Hintergründe des Attentats aufzuklären. Weil aber die Regierung die Staatsanwaltschaft dazu instrumentalisierte, den ihr verhassten designierten Generalstabschef zu stürzen, indem sie versuchte, ihn mit auf die Anklagebank setzen zu lassen, diskreditierte sie alle weiteren Aufklärungsversuche.

Ein großer Teil der Justiz, jedenfalls soweit es den Staatsschutzbereich betrifft, ist auch deshalb nicht unabhängig, weil sie sich selbst als Vollstrecker eines bestimmten Staatsgedankens verstehen. So entspricht auch das gestrige Urteil den Erwartungen, die an höherer Stelle mit dem Prozess verbunden waren. Angesichts der Empörung unter den Kurden war es wichtig, dass die Täter exemplarisch bestraft wurden. Für das Militär dagegen ist es wichtig, dass nicht der Antiterrorkampf als solcher verurteilt wurde, sondern nur die Tat zwei einzelner Offiziere. Keine Strafe für die Drahtzieher bedeutet auch: kein Sieg für den Rechtsstaat. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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