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Archiv-Artikel

Doktorengrollen in den Kommunen

In Gemeinden stimmen Ärzte über Streik ab. Uniklinikärzte Ost beklagen Benachteiligung im neuen Tarifvertrag

DRESDEN taz ■ Kaum ist der Tarifkonflikt an den Unikliniken beigelegt, stehen nun möglicherweise die ÄrztInnen von 700 kommunalen Krankenhäusern vor einem Streik. Die Große Tarifkommission des Marburger Bundes (MB) leitete gestern die Urabstimmung ein. Sie habe einstimmig festgestellt, dass die Verhandlungen über einen Tarifvertrag für die 70.000 ÄrztInnen an Kliniken der Städte, Kreise und Gemeinden gescheitert seien, sagte MB-Chef Frank Ulrich Montgomery gestern in Berlin. Das Ergebnis der Urabstimmung soll Ende der Woche vorliegen.

Indes könnte der mühsam gefundene Tarifkompromiss für die UniklinikärztInnen dem MB möglicherweise auf die Füße fallen. Denn die ostdeutschen Mitglieder rebellieren gegen ihre Benachteiligung. Im Tarifabschluss für die rund 22.000 ÄrztInnen an den Unikliniken und Landeskrankenhäusern war eine Angleichung der ostdeutschen Gehälter am Widerstand der Finanzminister der neuen Länder gescheitert. Berufseinsteiger erhalten im Osten 400 Euro weniger als ihre Westkollegen, die mit 3.600 Euro monatlich starten.

Sebastian Stehr, Sprecher des Dresdner Universitätsklinikums, berichtet von vier Kollegen der Anästhesie, die bereits nach Holland, in die Schweiz oder den Nahen Osten abgewandert seien. Seine Leipziger Kollegin Cordula Röhm bestätigt den Trend. Der Tarifabschluss werde die durch das Hochschulrahmengesetz ohnehin ausgelöste Fluchtbewegung verschärfen, sagt sie. Das Gesetz erlaubt befristete Vertragsabschlüsse nur bis zu einer Gesamtdauer von zwölf Jahren.

Cordula Röhm glaubt aber nicht an ein Scheitern des Tarifkompromisses in der heute beginnenden Urabstimmung. Zum einen sei der Einfluss ostdeutscher Ärzte im Marburger Bund gering. Zum anderen wolle man nach dem Kraftaufwand für die Streiks nicht noch eine Spaltung der Ärztevertretung riskieren. „Diesen Gefallen wollen wir Herrn Möllring nicht noch nachträglich tun!“ Der niedersächsische Finanzminister Hartmut Möllring (CDU) war Verhandlungsführer der Tarifgemeinschaft der Länder.

Der MB-Vorsitzende Montgomery will ab Freitag in ostdeutsche Universitätsstandorte reisen, um vor Ort das weitere Vorgehen abzustimmen. Nur vereinzelt, etwa in Jena, erwäge man erneut regionale Streiks, teilte die Thüringer Landesgeschäftsführerin Kerstin Boldt mit.

Hoffnungen setzt die ostdeutsche Ärzteschaft auf Gespräche mit der Berliner Regierungsspitze und auf die im Tarifvertrag vorgesehene Öffnungsklausel. Sie erlaubt abweichende länderspezifische Regelungen. Doch die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass jene Finanzminister, an denen die Ostangleichung gescheitert ist, zu Nachverhandlungen bereit sind. Sachsens Finanzminister Horst Metz (CDU) hat dies unter Verweis auf die schwierige Finanzlage des Landes und die hohen Investitionen in den Kliniken bereits kategorisch abgelehnt. Ähnliches verlautet aus dem Haus seines sachsen-anhaltischen Kollegen Jens Bullerjahn (SPD). MICHAEL BARTSCH