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Arbeit mit Bananen und Beinen

Fahrradkuriere haben eine harte Arbeit: Sie verdienen wenig, kämpfen mit aggressiven Autofahrern und müssen viel essen. Trotzdem treten viele Jobber jahrelang in die Pedalen. „Das ist ein Lebensgefühl“, sagt der Düsseldorfer Fahrer Christian

aus DÜSSELDORFLUTZ DEBUS

Ein kleines Ladenlokal in der Düsseldorfer Innenstadt. Im Schaufenster stehen drei verbeulte Bonanzaräder. Drinnen, auf der dunkelbraunen Sitzgarnitur aus Kunstleder, lümmeln sich ein paar Fahrradkuriere in eng anliegenden Klamotten und warten auf einen Auftrag. Doch aus den Funkgeräten, die an den roten Rucksäcken angebracht sind, rauscht es nur dezent.

„Ich bin ein Subunternehmer, fahre auf eigene Rechnung“, erklärt Christian. Den Vergleich mit einem Taxifahrer findet er wirtschaftlich gesehen ganz treffend. Der 33-Jährige wollte schon direkt nach dem Abi Fahrradkurier werden. Und das ist er bis heute. Oft fährt er nur noch die kurze Schicht von acht bis zwölf Uhr. Dann jobbt er woanders. Denn als Kurier verdient er nur bis zu 800 Euro. Die Kollegen, die immer die langen Schichten haben, kommen knapp auf das Doppelte. Davon gehen noch Steuern und Versicherungen ab.

Aber Christian ist zufrieden. „Mein ganzes Leben dreht sich ums Rad fahren.“ Sogar in der Freizeit fährt er viel. Fahrradkurier zu sein sei nicht nur ein Beruf. „Das ist ein Lebensgefühl.“

Der rote Plastikrucksack, den er auf dem Rücken trägt, fasst 30 Liter. Er kann damit auch Pappen im DIN-A 2-Format transportieren. Oft fährt er für Dentallabore die dritten Zähne fremder Leute durch die Gegend. Auch Dokumente von Rechtsanwälten, eilige Medikamente und sogar Blumen für Frischverliebte hat er transportiert. Seit einigen Jahren ist das Geschäft aber nicht mehr so gut wie zu Zeiten des Dotcombooms. Seit jeder eine ultraschnelle Flatrate-Internetverbindung hat, sind die Zeiten, in denen Designer, Werbeagenturen und Druckereien sehnsüchtig auf die Güterradler warteten, vorbei. Manchmal noch transportiert Christian eine DVD. Um 700 Megabite durch die Leitung zu schicken, braucht es mehr Zeit als die paar Minuten, die ein Fahrrad in der Landeshauptstadt unterwegs ist. „Düsseldorf ist eine kleine Furzstadt“, murmelt Christian. Knapp vier Kilometer ist die durchschnittliche Streckenlänge eines Fahrradkuriers.

Aber auch die kurzen Strecken haben es in sich. Rote Ampeln sind für die Fahrradlogistiker oft kein Hindernis. „Man muss einfach nur für 20 Menschen mitdenken. Dann passiert einem nichts.“ Christian hat da mehr Sorge, dass Autofahrer das Blinken vergessen oder seine Vorfahrt nicht beachten. Düsseldorfs Autofahrer seien extrem aggressiv. Das läge an den fehlenden Radwegen. Manchmal haut er mit der flachen Hand auf die Motorhaube eines Autos, dessen Fahrer ihn übersieht. Menschen hinter dem Lenkrad seien die hohen Geschwindigkeiten, die moderne Fahrräder erreichen können, nicht gewohnt.

Aber auch andere Gefahren lauern. Christian zieht an seiner Selbstgedrehten, kneift die Augen zusammen. „Wer sich zwei Mal auf nassen Straßenbahnschienen hingelegt hat, sollte es lassen.“

Ob er immer Fahrradkurier bleiben wolle? Christian macht zwar nicht den Eindruck, als lege er Wert auf eine detaillierte Lebensplanung. Aber nach einer kurzen Pause nickt er mit dem Kopf. Ein Kollege sei Architekt. Der hatte im Studium schon mit der Fahrerei angefangen. Und wenn jetzt in seinem Architekturbüro flaute sei, ist er sich nicht zu schade, sich wieder aufs Rad zu schwingen. Schließlich müsse er eine Familie mit zwei Kindern ernähren. Und der älteste Fahrradkurier Düsseldorfs sei schon über 50 Jahre alt. „Der Job hält jung.“ Und ökologisch sei diese Art der Warenbeförderung allemal.

Deutschlandweit werden jährlich, so eine Berechnung des Kurierunternehmens, 1,5 Millionen Liter Treibstoff durch Fahrradkuriere eingespart. Dafür allerdings verbrauche ein Kurier täglich 4.000 Kalorien. Das entspricht etwa 30 Bananen.

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