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Archiv-Artikel

Daumen drücken mit dem fernen Vater

Ashmond T. hat Frau und Kinder in Berlin, aber er kann nicht bei ihnen sein. Um seinen Aufenthalt in Berlin zu legalisieren, reiste der Ghanaer in die Heimat aus. Fünf Jahre später ist er immer noch nicht zurück – weil die Botschaft ihm kein Visum erteilt

Das Bild, das Robin und Jonas von ihrem Vater haben, beginnt schon zu verblassen

von PLUTONIA PLARRE

Robin und Jonas werden dabei sein, wenn Ghana heute gegen die USA spielt. Mit weit aufgerissenen Augen und wild klopfenden Herzen werden die siebenjährigen Zwillinge mit ihrer deutschen Mutter in Kreuzberg vor dem Bildschirm sitzen und der ghanaischen Nationalelf die Daumen drücken. Das westafrikanische Land ist die Heimat von Robins und Jonas’ Vater.

Die Brüder haben ihren Vater schon lange nicht mehr gesehen. Der 48-jährige Ashmond T. ist 2001 nach Ghana ausgereist, weil gegen ihn ein Ausweisungsbeschluss vorlag. Obwohl ihm eine spätere Rückkehr zu seiner Familien in Aussicht gestellt worden war, will ihn die Deutsche Botschaft nicht mehr nach Deutschland zurückkehren lassen.

Noch sind Robin und Jonas zu klein, um die Vorgänge um ihren Vater zu verstehen. Die temperamentvollen Erstklässler interessiert zurzeit ohnehin nur eins: Fußball. Mit stolz geschwellter Brust erzählen sie, dass sie bei Eintracht Südring gerade von den Minis zur F2-Jugend aufgestiegen sind. Und dass sie später einmal Nationalspieler werden. Nur ob sie dann für Ghana oder Deutschland antreten, haben sie noch nicht entschieden.

Die Zwillinge waren knapp zwei Jahre alt, als Ashmond T. abgeschoben wurde. Zweimal sind sie seither mit ihrer Mutter nach Ghana geflogen, um den Vater zu besuchen. Beim ersten Mal haben Andrea F. und Ashmond T. geheiratet, die zweite und bisher letzte Reise war im Februar 2004. Das Geld für die teuren Flugtickets hatte sich Andrea F. von Freunden zusammengeborgt. Die Elektroinstallateurin, die vor kurzem die Meisterprüfung abgelegt hat, ist arbeitslos. Das Arbeitslosengeld II reicht für die Familie gerade zum Leben.

„In Ghana gibt es ganz viel Sand“, erzählt Robin. „Es brennt ganz oft. Die Häuser sind viel kleiner als hier“, sagt Jonas. „Daddy ist ganz groß. Er ist 1,94 Meter“, sagt Robin. „Nein, er ist viel größer“, fällt Jonas seinem Bruder ins Wort. „Er ist 1,95 oder 1,96.“ Robin und Jonas telefonieren regelmäßig mit Ashmond T. Aber das Bild, das sie von ihrem Vater haben, beginnt zu verblassen, hat Andrea F. festgestellt.

Die Deutsche und der Ghanaer haben sich um die Jahreswende 1996/97 in Berlin kennen gelernt. Andrea F., die in der Alternativszene zu Hause ist und ein ghanaisches Patenkind hat, kennt in Berlin viele Leute aus Westafrika. „Wir fanden uns von Anfang an sympathisch. Aber es hat eine Weile gedauert, bis wir uns auf eine Beziehung eingelassen haben“, erzählt die 43-Jährige. „Wir haben uns ganz ganz bewusst für Kinder entschieden.“ Ashmond T. beschreibt sie als ausgesprochen liebevollen Vater. „Ohne seine Unterstützung hätte ich das mit den Zwillingen in der ersten Zeit gar nicht geschafft.“

Der Ghanaer lebte damals illegal in Berlin. Hintergrund war, dass er Anfang der 90er-Jahre in Saarbrücken wegen Drogenhandels zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt worden war. Nachdem er zwei Drittel seiner Strafe verbüßt hatte, war er im April 1994 aus der Haft entlassen worden. Die verbleibenden 680 Tage Haftstrafe wurden zur Bewährung ausgesetzt. Wenig später erhielt Ashmond T. ein Schreiben des Verwaltungsgerichts, in dem seine Ausweisung angeordnet wurde. Um dieser zu entgehen, setzte er sich nach Berlin ab, wo er fortan illegal lebte.

„Das hat er mir alles erzählt, als wir uns kennen gelernt haben“, sagt Andrea F. Als die Zwillinge auf der Welt waren, reifte in dem Paar der Entschluss, Ashmond T.’s Aufenthalt bei der Berliner Ausländerbehörde zu legalisieren. „Mir war klar, dass Ashmond zunächst würde ausreisen müssen“, sagt Andrea F. Ein Ausweisungsbeschluss lag zu diesem Zeitpunkt bereits lange vor. Bei der Härtefallkommission holte sie die Information ein, Ashmond T. werde wieder einreisen dürfen, wenn er Deutschland freiwillig verlasse und vier Jahre fern bleibe. Auch bei der Ausländerbehörde sprach man von einer vierjährigen Frist.

Vier Jahre – darauf hatte sich die Familie eingestellt. Mittlerweile sind schon mehr als fünf Jahre vergangen, und Ashmond T. ist immer noch nicht zurück. An der Ausländerbehörde liege es nicht, betont Andrea F. Die habe durchaus grünes Licht für die Rückkehr des Ghanaers gegeben. Anders die Deutsche Botschaft in Accra, der Hauptstadt von Ghana: Deren Mitarbeiter weigern sich bis heute hartnäckig, Ashmond T. ein Einreisevisum zur Familienzusammenführung auszustellen.

In der schriftlichen Begründung, die der taz vorliegt, heißt es, von einer Familienzusammenführung könne nicht gesprochen werden, weil Ashmond T. bei der Einreise nach Deutschland sofort inhaftiert würde. Schließlich müsse er noch die seinerzeit zur Bewährung ausgesetzte Reststrafe von 680 Tagen verbüßen. Wenn eine Person 680 Tage in Haft sitze, könne „eine dem Leitbild des Grundgesetzes entsprechende eheliche Lebensgemeinschaft zwischen den Eheleuten nicht hergestellt werden“. Im Klartext heißt das nichts anderes, als dass das Paar im Gefängnis nicht miteinander schlafen kann. Abschließend wird im Schreiben der Botschaft ganz unverhohlen die Vermutung geäußert, dass es sich bei der Verbindung des Paares um eine „rein aufenthaltsrechtlichen Zwecken geschuldete Ehe“ – um nicht zu sagen: Scheinehe – handele.

Auf die Existenz der Zwillinge geht die Botschaft mit keinem Wort ein. „Die Kinder können doch nichts dafür, dass Ashmond straffällig geworden ist“, sagt Andrea F. Wenn der die Reststrafe in Berlin verbüße, könnten ihn Robin und Jonas wenigstens besuchen. „Ich fühle mich wie im Mittelalter“, sagt Andrea F. „Abhängig von der Willkür von Verwaltungsangestellten, die das Schicksal meiner Kinder völlig kalt lässt.“ Sie hat das Auswärtige Amt nun beim Berliner Verwaltungsgericht verklagt.

Unterdessen bleibt Robin und Jonas nichts anderes, als mit dem Vater in Afrika zu telefonieren. Aber der Mann am anderen Ende der Leitung wird zunehmend zu einem abstrakten Wesen für die beiden. „Ich sage immer Ja, wenn er mich was fragt“, erzählt Robin. „Manchmal auch Nein.“ Am vergangenen Samstag, als Ghana Tschechien überraschend mit 2:0 schlug, kam die Telefonverbindung mit dem Vater nicht zustande. Aber heute, wenn mit Ghana nach einem Sieg über die USA endlich einmal wieder eine afrikanische Mannschaft ins Achtelfinale einziehen sollte, wird es klappen. Hoffentlich.