: Pantomimische Hausbauten
Milan Peschel hat Einar Schleefs Fassung von „Der Fischer und seine Frau“ vom Sozialismus in die Gegenwart der Sozialverlierer übertragen. Jetzt wird das Mitmachstück für Kinder am Theater an der Parkaue aufgeführt
Sie sehen aus wie Leute, die man gemeinhin Sozialverlierer nennt. Hocken in einem Verschlag auf der Hinterbühne. Die Frau trägt Kittelschürze, darunter ist sie ganzkörpertätowiert. „Mein Mann“, sagt sie verächtlich und zeigt auf eine eher mickrige Person mit Anglerhose und Zauselbart, die wie sie, über und über tätowiert ist. Dieser Mann hat schon wieder keinen Fisch gefangen. Im Gegensatz zu ihren Nachbarn, die alle mit reichem Fang nach Hause kamen. Damit beginnt am Theater an der Parkaue ein Slapstick-Ehekrieg: Irgendwann wird der Fischer (Niels Heuser) seinen Kopf in den bloß mit Wasser und eben nicht mit Fischen gefüllten Eimer stecken, weil er das Ehefrauen-Gekeife nicht mehr hören kann – während die Frau (Katrin Heinrich) verzweifelt versucht, ihn wieder herauszuziehen. Und nun beichtet der Mann, dass er doch einen Fisch gefangen hat. Bloß hat er ihn wieder schwimmen lassen, weil's gar kein Fisch, sondern ein verzauberter Prinz gewesen ist. Nun steht der Arme erst recht als Loser da: Schließlich weiß jedes Kind, dass man sich von einem solchen Wunderfisch was wünschen muss.
Die Kinder im Publikum nehmen lauthals teil am Fortgang der Geschichte, mit der Volksbühnenschauspieler Milan Peschel Dienstagmorgen ein ziemlich bejubeltes Regiedebüt gegeben hat. Bald dürfen sie auch mitmachen, nämlich Blumen, Bäume und einen Springbrunnen im frisch gewünschten Eigenheim darstellen. Man sieht eine, auf Riesenformat vergrößerte Seite wie aus einem Schöner-Wohnen-Katalog (Bühne: Moritz Müller). Doch das hübsche Eigenheim reicht fürs Glück schnell nicht mehr aus – ein Schloss muss her. Danach will die Frau König sein. Auch das erfüllt ihr der eloquente Butt (Dennis Pöpping), der gleichzeitig als Erzähler fungiert. Eigentlich könnte sie ja nun zufrieden sein. Ist sie aber nicht.
Ursprünglich haben die Brüder Grimm das Märchen aufgeschrieben. 1975 hat Einar Schleef die Geschichte als Mitspieltheater für Kinder bearbeitet. Damals war die DDR so gesund wie später nie wieder. Trotzdem konnte sie sich nicht entspannt zurücklehnen, beäugte Künstler und regte sich über solche Kleinigkeiten auf wie Schleefs Einfall, der bei seiner Uraufführung im April 1975 am Staatlichen Puppentheater in Dresden das Stück nicht von den Puppen, sondern von den Puppenspielern spielen ließ. Im Jahr darauf ergriff Schleef vor diesem kleinkarierten Staat die Flucht in die Bundesrepublik.
Schleefs Stück ist gerade mal zehn Seiten lang. Mit seinem volksbühnengeschulten Talent macht Peschel eine wunderbare achtzigminütige Parabel über das Wünschen daraus, indem er zwischen den Zeilen ganze Universen hervorimprovisiert. Erst sind es Luftschlösser, die sich der Fischer in sein Elend baut: In einer atemberaubenden pantomimischen Performance erspielt Niels Heuser zum Sixties-Hit „California Dreams“ große Fische, allerlei Hausbauten und schließlich eine Easy-Rider-Vision. Seine Frau hat’s lieber handfester und wünscht sich Palast und Königswürde. Als hätte sie eine Casting-Show gewonnen, tanzt sie auf dem Höhepunkt ihres Glücks im Rampenlicht. Der Butt singt Rio Reisers „Wenn ich König von Deutschland wär’“. Die Kinder machen Party und tanzen mit.
Aber da droht schon der nächste Wunsch. „Ich will Kaiser sein!“, sagt die Fischersfrau. „Du willst gar nichts mehr sein!“, brüllt ein Kind aus dem Publikum, weil es schon ahnt, dass die schöne Party jetzt ins Unlustige kippen wird. Erst wird die Frau Kaiser, dann Papst mit entsprechend unsympathischem Macht- und Prunkgehabe. Am Ende sitzt sie mit ihrem Fischer wieder in ihrem ärmlichen Verschlag. So kommt es eben, wenn man den Hals nicht voll kriegen kann. Und was lernen wir daraus? Auch mit dem Wünschen sollte man aufhören, wenn es gerade am schönsten ist.
ESTHER SLEVOGT
Nächste Vorstellungen: heute, 10 Uhr, und Sa, 16 Uhr, Theater an der Parkaue, Parkaue 29