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Archiv-Artikel

Buhlen um die Jungen

Mit Billigpreisen versuchen die privaten Krankenkassen gezielt, junge Männer anzulocken. Jetzt fürchten sie um ihre Zukunft. Der geplante Fonds ist schlecht fürs Geschäft

„Die Privaten wollen interessante Kundengruppen als Einnahmequelle anlocken“

VON ANNA LEHMANN

Männlich, allein stehend, gesund, zwischen 20 und 35 und mit einem monatlichen Einkommen über 3.937,50 Euro: der ideale Privatpatient. Junge Besserverdienende sind attraktiv für die privaten Krankenversicherungen (PKV), die sich ihre Kunden nach Alter und Gesundheitszustand aussuchen. Die sind selten krank, werden nicht schwanger und leben kürzer als Frauen. Mit Schnäppchenpreisen versuchen die Privatversicherer gezielt, junge Angestellte aus der gesetzlichen Krankenkasse zu locken, und sind erfolgreich: 290.000 Mitglieder haben sie den gesetzlichen Kassen in den vergangenen Jahren abgeworben.

Ihr Geschäftsmodell basiert auf einer Kuriosität des deutschen Gesundheitssystems: Wer wenig verdient, muss wenig, wer gut verdient, muss viel ins solidarische System einzahlen, aber wer sehr gut verdient, darf sich daraus verabschieden. Arbeitnehmer, die die monatliche Einkommensgrenze von knapp 4.000 Euro überspringen, können wählen: Wollen sie weiterhin auch für Kranke, Arme und Alte aufkommen, oder sorgen sie ausschließlich für sich selbst vor? 10 Prozent der Bevölkerung, darunter die Beamten und viele Selbstständige, sind privat versichert. „Je strikter ein Unternehmen beim Rosinenpicken ist, umso günstiger ist es für seine Versicherten“, erläutert Hermann-Josef Tenhagen, der als Chefredakteur des Magazins Finanztest private Krankenversicherungen analysiert hat.

Doch die Rosinenpickerei soll den Privatversicherern erschwert werden. Jüngste Pläne aus dem Gesundheitsministerium von Ulla Schmidt (SPD) sehen vor, dass auch die privaten Krankenkassen jeden, ob krank oder gesund, zu einem Basistarif versichern sollen (siehe Text links).

Die Gesundheitsreform wird seit Anfang Mai von Fachpolitikern aus Union und SPD verhandelt. Gefeilscht wird vor allem darum, wie ein möglicher Gesundheitsfonds bestückt werden soll. Die SPD will auch die privat Versicherten einbeziehen. Doch dann würde sich eine private Krankenversicherung nicht mehr rechnen. Die Lobbyvertreter sind alarmiert: „Der Fonds ist eine zentrale Bedrohung für die privaten Krankenversicherungen, konkret geht es um ihre Abschaffung“, poltert Verbandschef Reinhold Schulte. Ganz genau geht es um das Neukundengeschäft, denn ist man erst einmal bei einer Kasse, bleibt man dort, da die Kasse ein Monopol auf den Teil der Beiträge hat, der zurückgelegt wird, um die Behandlung der später auftretenden Zipperlein zu finanzieren.

Die Union hat den Bestand der privaten Krankenversicherungen zugesichert. Öffentlich stellt sie sich auch weiterhin vor die Besserverdienenden, doch einzelne Mitglieder sind nicht mehr ganz auf Linie. So hat Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus geäußert, dass auch die Privatversicherungen einen Beitrag zu leisten hätten.

PKV-Chef Schulte verweist auf die 9,5 Milliarden Euro, die jedes Jahr als Subvention in das gesetzliche System fließen. Das Landgericht Hamburg hat diese Eigenwerbung indes als Tatbestand der Lüge untersagt, sind doch in dieser Summe erhebliche staatliche Mittel für die Beamten enthalten. Zudem beruhen diese Zuwendungen im Wesentlichen darauf, dass Ärzte für Privatpatienten zweieinhalb mal so viel kassieren dürfen wie für Kassenpatienten. Insofern, meint der Bamberger PKV-Experte Ulrich Meyer, sei es nicht gerechtfertigt, von Subventionen zu sprechen (siehe Interview).

SPD-Linke wie Karl Lauterbach würden die Privatkassen und damit die Zweiklassenmedizin am liebsten gleich abschaffen: „Es kann nicht unser Ziel sein, Politik für Chefärzte und Aktienkurse zu machen.“ Der Genosse und Parteichef Kurt Beck erwartet mindestens 3 Milliarden Euro pro Jahr von der PKV. „Wir haben kein Angebot vorgelegt“, wehrt Verbandschef Schulte ab.

Stattdessen hat die PKV einen Basistarif für alle freiwillig Versicherten angeboten und will jeden, der mehr als 4.000 Euro monatlich verdient, ohne Gesundheitscheck nehmen. Die gesetzlichen Kassen bezeichnen das als Mogelpackung. „Die Privaten wollen interessante Kundengruppen als Einnahmequelle für ihre Produktpalette anlocken“, erregt sich AOK-Sprecher Udo Barske. „Dadurch würde die Finanzkraft der gesetzlichen Krankenversicherung weiter ausgehöhlt und würden die Beitragssätze weiter steigen.“