: „So haben sie warm“
HEIRATEN Keine Institution war umstrittener als die Ehe. Inzwischen ist klar: Die Hochzeit ist ein emanzipativer Akt
VON JAN FEDDERSEN
An den christlichen Gott zu glauben ist nicht nötig, um die Bibel für ein Buch der Lebenserfahrungen und guten Beobachtungen zu halten.
Ob eine Instanz jenseits des Lebens und in diesem zugleich eingewoben existiert – einerlei. Wichtiger zum Beispiel: In den „Predigern“ der Bibel steht, was die Liebe anbetrifft und das Leben zusammen zu zweit, das Nötige, zitiert aus der Jerusalemer Ausgabe des Jahres 1978. „Zweie sind besser daran als nur einer; sie haben doch einen guten Lohn für ihre Mühe. Denn fallen sie, so hilft der eine dem andern auf. Doch wehe dem Einzelnen, wenn er fällt und kein andrer da ist, ihm aufzuhelfen!“ Das ist schon ziemlich weise, weil pragmatisch orientiert – und weiter heißt es für die Zeiten der Nacht, des Schlafs: „Und liegen zwei beieinander, so haben sie warm; wie aber könnte einer allein erwarmen?“
Tja, wie könnte er, wie könnte sie? Allein, ohne – ja, in was: Ehe zu leben? Keine direkt ins Leben eingreifende Institution war unter Achtundsechzigern, unter Menschen, die ihre Weltanschauung auf Kritik und Durchblick der Verhältnisse gründen, so umstritten wie eben diese – die Ehe. Für Frauen ein Gefängnis, eingehegt von Männern, die ihr Gespons als gesetzlich legalisierte Putz- und Kinderaufzuchthilfe missbrauchen; für Menschen überhaupt ein Knast, der lebenslang zu strukturieren beansprucht, was doch morgen, wenigstens übermorgen schon beendet sein kann.
Gütig sei aber jetzt der Blick zurück auf diese Verhältnisse der politischen Gedanken, der Meinungen und Befindlichkeiten: Die bundesdeutsche Ehe konnte bis in die frühen Siebziger ja wirklich eine ungemütliche Veranstaltung sein.
Frauen gaben mit dem Ja-Wort auf dem Standesamt faktisch alle Rechte an sich selbst auf. Sie hatten, wie allerdings auch er, eheliche Pflichten. Sex neben der Ehe war vor dem Scheidungsgericht ein Bruch des Versprechens. Außerdem war die bundesdeutsche Gattin auf dem Arbeitsmarkt eine Ware mit eingeschränkter Verfügbarkeit. Wenn ein Gatte das nicht wollte, konnte er für sie beim Arbeitgeber kündigen.
Und wahr ist auch, dass das Gros der Ehen früher schon der Moral wegen geschlossen werden musste, weil der ungeschützte Sex zwischen gemischtgeschlechtlich orientierten Menschen zu Schwangerschaften führte – und Kinder ohne getraute Eltern Bastarde waren und nichts weiter. Also heiratete man. Sehr oft ohne Liebe.
Gleichwohl hat sich das alles geändert, und für diese Schlussstriche unter (pseudo-)christliches Eherecht haben natürlich auch unsere Kreise, die Achtundsechziger und andere Gut- und Besserwillige gesorgt, bei ihrem Marsch durch die Institutionen. Ehe ist nun freiwillig, und ökonomisch sind jetzt auch nicht mehr Ehefrauen bevorzugt, die mit dem Ja-Wort die Lebensversorgung ohne Erwerbstätigkeit faktisch mitbekamen. Wer heiratet, tut dies jetzt freiwillig – und das (ökonomische) Wohl ihres Nachwuchses vor allem zählt.
Die Freiheit, ja zu sagen
Aber das zu begründen war möglicherweise viel zu kalt. Was sollte auch jetzt noch der Hinweis, dass das bürgerliche Eherecht vor allem von Proleten erkämpft wurde, von Gewerkschaften, von Arbeiterbewegung – damit zwei Heterosexuelle konnten, was sie oft nicht durften: sich zusammentun in Zuverlässigkeit, zur Versorgung und zur Absicherung ihrer Kinder. Geschenkt. Mag es Menschen in unseren Kreisen geben, die lieber unverheiratet bleiben – die meisten wollen es doch oder spielen zäh mit der Vorstellung, dass es den oder die RichtigeN gibt. Mit dem oder der man dann das Leben gemeinsam, wenn man so will, bestreitet.
Das ist das, was die Soziologin Eva Illouz rauf und runter beschreibt: Bei der Ehe geht es um Freiheit – die Freiheit, auf die Suche (innerlich wie äußerlich) irgendwann zu verzichten und zu einer Person ja zu sagen. Nur die Liebe zählt. Viele Industrien leben von dieser Idee. In unserem Milieu wird gern gesagt, die Ehe lohne nicht, weil die Liebe nicht halte, was Scheidungsraten bewiesen. Ja, so kann man es sehen, wenn man die Welt als depressiv stimmende anlegen möchte. Andererseits besagen die Quoten der gescheiterten Eheprojekte nur, dass die Leute an der Ehe hängen – die Hälfte des therapeutischen Gewerbes kümmert sich inzwischen um die Kümmernisse nach Trennungen.
Nur: Die Geschiedenen, alle Expertise besagt das, suchen hernach eine neue Ehe. Die meisten, die als Single statistisch rubriziert werden, sind keine Einzelnen. Es sind Singles, die es nicht mehr sein möchten – um das zu bewerkstelligen, nehmen sie Zeitungen und andere Medien in die Hand, cruisen im Internet und machen sich für den Kantinenbesuch schön. Balz mit romantischen Absichten treibt an!
Zu sagen ist aber vor allem dies: Heiraten ist ein Dokument der Aufnahme in die Gemeinde von dann gemeinsamen Freunden, Familien und Zirkeln. Es ist für zwei erhebend, füreinander dokumentiert zu sehen, per Ja-Wort besiegelt, dass sie für den oder die andereN die Nummer eins im Leben sind. Das ist an der Hochzeitsfeier, in welcher Art auch immer, erhebend und herzfüllend. Dass da einer, eine Ja zu einem sagt. Rückhaltlos, in guten wie in schlechten Zeiten. Wer möchte das nicht geloben und gelobt bekommen.
Das Ja-Wort ist ein Akt der Freiheit jetzt; und das Symbol, es mit der Liebe nicht mehr einerlei mit den wärmenden Verhältnissen zu nehmen. Weil es letztlich bei Ehelichem um Liebe geht – und sie rechtssicher macht –, wäre es absurd, würden die Ehebestimmungen nicht endlich geöffnet, um nicht nur Mann-Frau-Kombinationen offenzustehen. Was Liebe sein kann, ist schließlich erkennbar kein Privileg von Heterosexuellen.
Selbst in den Zeiten stärkster Ehekritik, vor dreißig Jahren, waren die meisten erwachsenen Menschen entre nous verheiratet oder damit beschäftigt, es demnächst zu sein. Echte Singles ohne Paarungsabsichten im Eherahmen sind rar. Die Emanzipation von der bürgerlichen Ehe hat sich als irrig erwiesen. Es kam nur darauf an, sie vom moralischen Ballast zu befreien.