: Ein Luftzug von Zeitgenossenschaft
PLASTIK Das Marckshaus zeigt mit „Es geht ans Eingemachte“ eine Ausstellung, die den Stil des neuen Direktors und seines jungen Teams verdeutlicht: unmittelbar, ehrfurchtslos, aktuell
Von HENNING BLEYL
Wer rein will, muss an ihm vorbei: Jan Ketelaars „Wijzende Man“ im Foyer des Marckshauses macht es den BesucherInnen nicht leicht, das Museum ohne Zögern zu betreten. Zu eindeutig ist seine Körpersprache, zu massiv sind die 500 Kilogramm Stahl, die sich dem Betrachter abweisend entgegen recken.
Hinter dem 3,50 Meter-Mann steht ein noch größeres Konglomerat aus wetterfestem Cortenstahl, ebenfalls komplett geschweißt, nicht gegossen. Es heißt „Meer“, die bittend gewölbten Hände verlangen unweigerlich danach. Ketelaar wollte die Figur vor der Amsterdamer Börse postieren – was behördlicherseits ebenso abgelehnt wurde wie sein Vorschlag, den „Wijzenden“ unmittelbar am Grenzübergang zu installieren. Gedacht als Beitrag zu den sich ungut steigernden binnen-niederländischen „Ausländer“-Diskussionen.
Die Ausstellung „Es geht ans Eingemachte“ zeigt vier zeitgenössische KünstlerInnen, deren figürliche Auffassung von großer Unmittelbarkeit geprägt ist. Sie schaffen Gestalten, die eindeutig jedweder Schönheitsfalle entkommen sind, deren Reiz ausdrücklich im Nicht-Idealisieren menschlicher Körper besteht. Iris Kettner aus Berlin hat einen ganzen Raum mit liegenden oder sich eben noch abstützenden Figuren gefüllt, wie man sie beispielsweise aus den „Tagesthemen“ zu kennen meint: im Rahmen einer Berichterstattung über eine Demo, bei der die Wasserwerfer ganze Arbeit geleistet haben.
Die vermummten Gestalten bestehen aus Eisen, Klebeband, Textil und passen in ihrer Alltagsorientierung ebenso zu Christina Dolls Darstellungen übergewichtiger Jugendlicher wie zu Markus Keulers gedrungenen Holzfiguren. Durch die klassizistischen Hallen des Marckshauses zieht ein kräftiger Luftzug echter Zeitgenossenschaft.
Im zentralen Raum des Museums sitzt eine der Keuler‘schen Figuren im Schneidersitz auf dem Boden, das Buddha-hafte ihrer Ausstrahlung wird durch einen Elefanten unterstützt, der von der Decke baumelt. Freilich besteht er nur aus Konturen, deren Einzelteile wie ein Mobile herunter hängen: als tierhaft taumelnder Baldachin für einen Mann, der beim Näherkommen die Züge eines Menschen mit Trisomie 21 erkennen lässt. Keuler arbeitet ausschließlich mit Modellen, deren Körper durch diese genetische Besonderheit gekennzeichnet sind.
Der äußere Anlass, Keulers in Bremen entstehendes Werk erstmals im Marckshaus zu präsentieren, mögen die Special Olympics gewesen sein – substantiell passen sie jedoch hervorragend in die nunmehr deutlicher akzentuierte Linie des Hauses, wesentlicher, aktueller und bei Bedarf auch provokativer zu werden.
Der Zugriff von Arie Hartog als neuem Direktor zeigt sich auch im Umgang mit dem Hausherrn himself, Gerhard Marcks. Dessen Werke, konzentriert im seitlichen Kabinett, dienen hier unverhohlen als Anti-Folie: In ihrer abstrakten Kühle konterkarieren sie geradezu die intensive Unmittelbarkeit der ausgestellten „Gäste“. Wieder könnte man auf Pragmatisches verweisen: etwa auf den Bedarf, während der Sommersaison für die Touristen ein Mindestmaß an Marcks-Originalen vorzuhalten. Dennoch scheint sich in der auch konzeptionell gewollten Gegenüberstellung von Marcks mit seinen aktuellen Kollegen – bei der der Altmeister nicht eben als visueller Sieger am Platze steht – eine äußerst produktive Respektlosigkeit.
Bis 5. September. Jeden Sonntag um 12 Uhr und jeden Donnerstag um 17 Uhr gibt es öffentliche Führungen. Diesen Sonntag erläutert Jens Bommert die Ausstellung, kommenden Donnerstag die Marckshaus-Kustodin Veronika Wiegartz